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Mit einem europaweiten Projekt wollen die Spitäler einen großen Schritt Richtung digitale Beschaffung gehen. Der Ansatz: Lernen von der Lebensmittelbranche. Mit dabei sind auch namhafte österreichische Klinikbetreiber.
Das Problem war klar, die Lösung naheliegend. Anstatt mühsam die verschiedenen Lieferanten einzeln zu kontaktieren und per E-Mail vielseitige Excel-Files auszutauschen, soll dies in standardisierter Form und automatisiert über eine digitale Plattform geschehen. Die Vorteile: weniger Zeitaufwand, weniger Fehler, mehr Effizienz, mehr Transparenz. Soweit die Theorie. In der Praxis sah das leider anders aus. „Wir haben das mit einem Lieferanten getestet und sind dabei immer wieder auf die Nase gefallen“, erinnert sich Stephan Kostner, Leiter des Zentraleinkaufs der Tirol Kliniken.
Das größte Hindernis auf dem Weg zur Digitalisierung des Beschaffungsprozesses: Die Produktangaben in den Systemen von Spitalbetreiber und Lieferant – die Experten sprechen hier von den Stammdaten – stimmten kaum überein. Diese Diskrepanzen führten vielfach dazu, dass die Systeme einander schlicht und einfach nicht verstanden. „Was bei einem Nutella hieß, wurde beim anderen als Schokoladenaufstrich bezeichnet“, schildert Kostner. In anderen Fällen klappte die Kommunikation zwar etwas besser, aber auch nicht wirklich gut. Ein Beispiel: Die Packung eines Medizinproduktes, das laut System des Spitalbetreibers 100 Stück enthielt, war im System des Lieferanten mit 1.000 Stück vermerkt. „Plötzlich wurde uns zehn Mal so viel geliefert, wie wir geglaubt hatten, bestellt zu haben“, so Kostner. Sein Fazit: „Die Stammdatenpflege ist substanziell, um den reibungslosen Datenaustausch zu ermöglich.“
Diese Erkenntnis haben die Tirol Kliniken dazu bewogen, sich an der europaweiten Initiative ECHO zu beteiligen. Das Akronym ECHO steht für „Extending the Collaboration of Healthcare Organisations“. Geleitet wird das Projekt vom weltweit tätigen Non-Profit-Netzwerk GS1, das vor allem Lösungen für die standardisierte Kooperation zwischen Industrie und Handel entwickelt. GS1 ist vor allem im Lebensmittelhandel sehr breit vertreten. Bekannt ist die Global Trade Item Number (GTIN) im EAN-Strichcode (European Article Number), der auf allen Einzelhandelsprodukten zu finden ist und gescannt werden kann, um Kassiervorgänge und weitere Abläufe zu automatisieren. Weit verbreitet ist auch die Global Location Number, mit der Filialen, Lager oder Liegeplätze identifiziert werden können. Im Bereich der Medizinprodukte ist GS1 eine von der Europäischen Kommission und der amerikanischen Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA benannte Vergabestelle für die Produktidentifizierungsnummer.
Bei ECHO geht es darum, das umzusetzen, was im Einzelhandel längst der gelebte Alltag ist: In Österreich betreibt GS1 Austria seit 2014 einen mächtigen Stammdaten-Pool namens GS1 Sync, in dem alle für Hersteller und Handel relevanten Informationen für zigtausende von Produkten erfasst sind. Dafür füllen die Hersteller ein sogenanntes „Produktstammdatenblatt“ aus, in dem klar festgelegte Felder befüllt werden. Dazu zählen Mengenangaben, Informationen zu Zutaten und Allergenen, Verwendungshinweise oder Angaben zur Lagerung. Wichtige Ausnahme: Angaben zu Preiskonditionen sind nicht enthalten. Diese werden weiterhin bilateral zwischen Anbieter und Abnehmer ausgehandelt. GS1 Sync wird mittlerweile von rund 2.500 Anwendern genutzt – vor allem von Industrie und Handel, aber auch von App-Providern und der Gastronomie. Vertreten sind internationale Markenartikler wie Coca Cola oder Nestlé und praktisch der komplette heimische Lebensmittelhandel – von Rewe über Spar bis zu Metro.
Die Logik des Systems ist bestechend einfach: Die Produzenten pflegen die Stammdaten in den Pool ein und stellen sie frei – entweder für einzelne Kunden oder für einen gesamten Zielmarkt. „Das funktioniert wie ein digitaler Produktkatalog“, meint Barbara Wendelin, Leiterin GS1 Sync Services & HealthCare bei GS1. „Die Kunden finden dort alle Informationen, die sie benötigen, und können diese direkt in die internen Anwendungen übernehmen.“ Das System bietet enorme Vorteile gegenüber der anachronistisch anmutenden bilateralen Kommunikation via E-Mail: „Die Hersteller ersparen sich den Aufwand, jeden Kunden einzeln über die Produkte informieren zu müssen“, so Wendelin weiter. Die autorisierten Kunden erhalten automatisch die Stammdaten in ihre Mailbox im System, wenn es ein neues Produkt oder Neuerungen zu einem bestehenden Artikel gibt.
Und auch aus Sicht der Abnehmer hat sich GS1 Sync bewährt. Sie haben die Sicherheit, dass ihnen die richtigen Informationen zu den richtigen Produkten ohne Zeitverlust zur Verfügung stehen und dass sie das richtige Produkt zu den Mengen bestellen, die sie auch wirklich erhalten wollen. Die Kunden sparen Zeit bei der Suche nach Informationen und bei Ausschreibungen. Kurz: Die Effizienz der gesamten Prozesskette wird deutlich erhöht.
Viele Vorteile
Diese Vorteile will nun auch das heimische Spitalswesen nutzen. Österreich zählt zu den elf europäischen Ländern, die an der ECHO-Initiative teilnehmen. Bei den übrigen zehn Ländern handelt es sich um Dänemark, die Niederlande, Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Spanien, die Schweiz und Schweden. Rund 20 Gesundheitsunternehmen sind Mitglied der österreichischen ECHO-Arbeitsgruppe – darunter die Tirol Kliniken, die Vinzenz Gruppe und die Gesundheit Burgenland. Von Seiten der Medizinprodukte-Hersteller sind B. Braun und Cook Medical mit an Bord.
In den vergangenen Monaten hat die österreichische ECHO-Arbeitsgruppe unter der Leitung von GS1 Austria einen Katalog von 90 Datenfeldern definiert, die von den Herstellern für jedes Produkt in den Datenpool gepflegt werden sollen. GS1 Austria arbeitet laut Projektkoordinatorin Wendelin derzeit daran, „die technischen Voraussetzungen in GS1 Sync zu schaffen“. Ende 2024 soll die Healthcare-Version von GS1 Sync – GS1 Sync für HC – den Betrieb aufnehmen.
Experten sind überzeugt davon, dass sehr schnell weitere Medizinprodukte-Hersteller folgen werden: „Durch die enge Abstimmung zwischen den elf nationalen Arbeitsgruppen im ECHO-Projekt ist es für die Hersteller relativ einfach, ihre Datensätze auch den anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sobald sie die Daten einmal in einem Land eingegeben haben“, meint ein beteiligter Einkaufsmanager. Allein in den Niederlanden stellen bereits 250 Lieferanten Daten zur Verfügung. Tirol Kliniken-Einkaufsmanager Kostner schätzt, „dass bis Mitte 2025 in einem ersten Schub gleich 10 bis 15 von unseren großen Lieferanten aufspringen werden“. Damit, so Kostner weiter, wären bereits rund 30 Prozent des jährlichen Beschaffungsvolumens der Tirol Kliniken abgedeckt.
Kostner verspricht sich einiges von der digitalen Beschaffung – unter anderem mehr Tempo und Transparenz in den Abläufen: „Wenn es Probleme bei einer Bestellung gibt, bekomme ich sofort eine Information, kann reagieren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen treffen“, meint er. „Jetzt erhalte ich vielleicht nach einer Woche ein Mail, das ich unter Umständen auch noch übersehe.“ Ein weiterer Vorteil der Digitalisierung besteht in der Erhöhung der Effizienz: „Mit Blick auf den Personalmangel im Gesundheitswesen ist es notwendig, dass wir die Abläufe effizienter gestalten. Wir müssen automatisieren, um uns auf die wichtigen Tätigkeiten konzentrieren zu können.“ Der Einkaufsmanager ist daher von der Wichtigkeit der ECHO-Initiative fest überzeugt: „Es ist ein enorm wichtiges Projekt für die Digitalisierung des Krankenhauswesens.“