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Das Gesundheitswissen der Österreicher lässt zu wünschen übrig. Das schadet Individuen und verursacht unnötige Kosten. Was ist dagegen zu tun?
Die Entscheidungskompetenz von Patienten wird in der Gesundheitsversorgung immer wichtiger. Heute weiß man, dass eine aktive Teilnahme am Behandlungsgeschehen vor allem angesichts komplexer Systeme ein wichtiger Faktor für den Behandlungserfolg ist und dass diese Kompetenz auch oft entscheidend dafür ist, ob Menschen ihre Gesundheitschancen im Lebensverlauf verbessern können. Gesundheitskompetenz ist also das Stichwort der Stunde und der Zukunft, aber gerade darum ist es in Österreich nicht gut bestellt. Definitiv bekannt ist das seit der europäischen Health-Literacy-Studie (2012; herausgegeben vom HLS-EU Consortium). Dabei wurde abgefragt, wie einfach oder wie schwierig es für die Menschen ist, bestimmte Aufgaben im Zusammenhang mit Gesundheitsinformationen einzuschätzen. Es geht also beispielsweise darum, ob und wie gut man seinen Arzt oder gesundheitsrelevante Informationen in den Medien versteht.
In der HLS-EU-Studie wurde erstmals der Health-Literacy-Status von Bürgern in acht teilnehmenden EU-Staaten erfasst. Neben Österreich nahmen an der Untersuchung auch Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Irland, die Niederlande, Polen und Spanien teil. Das für Österreich wenig erfreuliche Ergebnis ist, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung hierzulande (51,6%) eine limitierte Gesundheitskompetenz hat. (Der internationale Durchschnitt liegt bei 47,6%.) In bestimmten Personengruppen können diese Werte auf bis zu 74,6 Prozent ansteigen. Im Vergleich der acht an der HLS-EU-Studie teilnehmenden Länder liegt Österreich damit in Sachen Gesundheitskompetenz an zweitletzter Stelle. Die besten Werte erzielten die Niederlande: Dort gibt es mit weniger als 29 Prozent den geringsten Anteil von Personen mit limitierter Gesundheitskompetenz.
In Österreich wurde im Anschluss an die HLSEU-Studie auch noch eine Zusatzerhebung zu diesem Thema für 15-jährige Jugendliche durchgeführt. Diese Untersuchung zeichnet für die jungen Menschen teilweise ein noch düstereres Bild. So empfanden etwa im Bereich der Krankenbehandlung 68 Prozent der Jugendlichen es als schwierig, Informationen über Krankheitssymptome, die sie betreffen, zu finden (gegenüber nur 28 Prozent bei den Erwachsenen). Auch bei den Fragen zur Prävention haben Jugendliche häufiger Schwierigkeiten, die Dinge zu beurteilen. (Fast 46 Prozent der Jugendlichen, aber nur knapp 24 Prozent der Erwachsenen gaben bei der Frage, welche Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden sollten, Probleme an, die Sachlage zu verstehen.)
Wichtig ist das alles, weil eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz zahlreiche negative Folgen – für die einzelnen Betroffenen ebenso wie für das Gesundheitssystem – hat. Konkret heißt das: Menschen, die hier schlecht abschneiden, wissen häufig nicht, wohin sie sich mit gesundheitlichen Problemen wenden sollen. Sie landen öfter im Krankenhaus oder beim ärztlichen Notdienst. Und sie empfinden ihren Gesundheitszustand häufiger als schlecht und leiden tatsächlich auch öfter unter chronischen Krankheiten und weiteren Gesundheitsproblemen. Was das Gesundheitssystem betrifft, so entstehen nach Expertenschätzungen durch mangelnde Gesundheitskompetenz Ausgaben in Höhe von drei bis fünf Prozent der Gesamtgesundheitskosten.
Die Frage ist, wo die besonderen Probleme in Österreich liegen und was die Ursache dafür ist. „Wie wir aus der HLS-EU-Studie wissen, können die Österreicher allgemeine Verständnis- und Wissensfragen ebenso gut beantworten wie Menschen aus anderen Ländern. Aber es fällt ihnen schwerer, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden und dieses optimal zu nutzen – was daran liegen dürfte, dass das österreichische System sehr komplex und in bestimmten Aspekten von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist“, sagt Christina Dietscher. Sie ist Leiterin der Abteilung für Nichtübertragbare Krankheiten, Psychische Gesundheit und Altersmedizin im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und Vorsitzende der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK). Die Soziologin weiß auch, dass speziell Informationen zur Gesundheitsförderung für die Österreicher noch etwas schwieriger einzuschätzen sind als etwa solche rund um bestimmte Krankheiten. Sie erklärt das so: „Wissen allein führt nicht automatisch zu gesundheitsförderndem Verhalten. Sonst dürfte es keine Raucher oder Bewegungsmuffel mehr geben.“
Der Public-Health-Experte Armin Fidler sieht eine wesentliche Ursache des Problems vor allem in der mangelnden Edukation zur Gesundheitskompetenz, die seiner Meinung nach bei den ganz Jungen ansetzen müsste. „In den Niederlanden werden gesundheitsrelevante Lehrinhalte schon in Kindergarten und Vorschule vermittelt – und auf die Zielgruppe genau abgestimmt. Selbst kleinste Kinder lernen dort, was gesund ist, wie Bewegung und Ernährung zu einem gesunden Leben beitragen oder wie man mit Schadstoffen umgeht. Bei uns ist man davon weit entfernt.“ Fidler, der unter anderem am Management Center in Innsbruck unterrichtet, berichtet von in anderen Ländern fix angestellten School Nurses, die sich um kleine gesundheitliche Nöte von Kindern und Jugendlichen kümmern und auch präventiv tätig sind: etwa was Mobbing, Ernährung, Bewegung, aber auch den Umgang mit Nikotin, Alkohol oder Drogen betrifft. „Das ist kein Luxus, den man sich da in England oder den Niederlanden leistet, sondern etwas ganz Essenzielles, das bei uns nicht einmal diskutiert wird.“ Der Experte kritisiert in diesem Zusammenhang auch die mangelnde Präventionskultur in Österreich. „Hierzulande herrschen immer noch Dogmen der Reparaturmedizin vor, und das scheint tief in der Seele und in den Köpfen der Menschen verankert zu sein.“ Auch was den Umgang mit chronischen Krankheiten oder auch das Impfwesen betrifft, ortet er Mängel: „Österreich hat, was die Grippeimpfung betrifft, die niedrigsten Impfraten in der ganzen EU zu verzeichnen. Aber: Da machen sich höchstens einige Experten Sorgen darüber, von einer breiten Diskussion darüber, die so wichtig wäre, kann keine Rede sein.“
So weit so schlecht, aber die Ergebnisse der HLS-EU-Studie haben doch auch dazu geführt, dass man sich in Österreich Gedanken gemacht hat. Christina Dietscher meint, dass man zur Förderung der Gesundheitskompetenz an zwei Seiten ansetzen muss: „Zum einen an der Schulung von Menschen. Das ist insbesondere bei chronisch Kranken wichtig, weil ihre Lebensqualität stark davon abhängt, wie gut sie ihren Alltag mit der Erkrankung bewältigen können. Zum anderen muss auch unbedingt an der Verbesserung der Orientierung im Gesundheitssystem gearbeitet werden: Hier können sehr viele Stellschrauben gedreht werden, um die Verfügbarkeit qualitätsgesicherter Gesundheitsinformation und -kommunikation zu verbessern.“
Nicht zuletzt deshalb wurde die Stärkung der Gesundheitskompetenz als höchstpriorisiertes Handlungsfeld in den Gesundheitszielen Österreich festgeschrieben, und für konkrete Schritte in diese Richtung ist die 2015 eingerichtete Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz zuständig. „Dort arbeiten wir systematisch und umfassend entlang von fünf Schwerpunkten. Dazu gehört etwa die Umsetzung der nationalen Strategie zur Verbesserung der Gesprächsqualität in der Krankenversorgung – insbesondere durch Schulungen von medizinischem und therapeutischem Personal. Ebenso zielen wir auf die Verbesserung schriftlicher und audiovisueller Gesundheitsinformationen, unterstützen Einrichtungen des Gesundheitswesens, damit sie in ihren Alltagsroutinen Gesundheitskompetenz fördern können, und es geht uns um Bürger- und Patientenempowerment“, sagt Christina Dietscher, die auch betont, dass solche Initiativen einen tiefgreifenden Kulturwandel bedeuten, der nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen sein wird. „Wir werden einen langen Atem brauchen.“
Armin Fidler sieht darin positive Schritte, aber: „Es wird mehr über das Thema gesprochen und diskutiert – allerdings vorwiegend nur von Fachleuten und vor allem im Gesundheitssystem. Das ist besser als nichts, aber es hat nur Auswirkungen, wenn es auch in die Institutionen hineingetragen wird. Ich sehe aber nicht, dass etwa die Lehrpläne an den Schulen grundlegend verändert werden oder dass sonst vieles konkret umgesetzt wird. Auch vermisse ich relevante Absichtserklärungen, etwas fundamental zu verbessern.“
Immerhin aber versucht man, den Österreichern eine bessere Orientierung im Gesundheitssystem zu verschaffen. So wurde etwa die Telefonhotline 1450, die 365 Tage im Jahr 24 Stunden pro Tag als telefonische Erstanlaufstelle für Gesundheitsfragen zur Verfügung steht, bundesweit ausgerollt. Und über das Webportal gesundheit.gv.at bemüht sich die öffentliche Hand, allgemein verständliche Informationen zu den wichtigsten Fragen rund um Gesundheit und Krankheit qualitätsgeprüft bereitzustellen.
Ob sich durch die bisher getroffenen Maßnahmen etwas in Sachen Gesundheitskompetenz der Österreicher verbessert, wird man nächstes Jahr sehen. Derzeit laufen die Arbeiten zur zweiten europäisch-vergleichenden Gesundheitskompetenz-Erhebung mit 15 beteiligten Staaten.
Quelle: ÖKZ EXTRA, 61.JG (2020) 3-4 Prävention & Reha, Schaffler-Verlag