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Rund um COVID-19 scheint ein Teil der Öffentlichkeit derzeit auf seltene Impfstoff-Komplikationen fixiert zu sein. Doch insgesamt gibt es in Österreich viel zu wenige Meldungen über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Dies diskutierten kürzlich Experten bei einem Online-Austausch des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig). Nur 6% der zu erwartenden Probleme würden gemeldet.
"Arzneimittelüberwachung und Sicherheit", lautete der Titel der Veranstaltung. Das Thema hat es - insbesondere nach der internationalen Aufregung über seltene schwerwiegende Thrombose-Probleme nach COVID-19-Impfungen - in sich: Das System der Pharmakovigilanz ist nämlich zum größten Teil davon abhängig, wie aufmerksam bezüglich möglicher unerwünschter Ereignisse rund um Arzneimittel Patienten, Ärzte, Apotheker und Pharma-Industrie sind.
"Wir haben in Österreich innerhalb von drei Monaten mehr als 20.000 Meldungen über vermutete Nebenwirkungen nach Impfungen gegen COVID-19 bekommen. Das ist das Dreifache der sonst in einem Jahr erfolgenden Meldungen für alle Medikamente", so Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin des Bereichs Medizinmarktaufsicht der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES).
Irgendwie müssen die "Nebenwirkungsmeldungen", wobei die Erstinformationen vor allem "Signale" sind, denen Pharmakovigilanz-Spezialisten dann national/international nachgehen, stark vom Aufmerksamkeitsgrad der Gesellschaft abhängig sein. Wirthumer-Hoche nannte dazu internationale und österreichische Daten: In Europa wurden bis 22. März dieses Jahres 42 Millionen Dosen des Pfizer/BioNTech mRNA-Impfstoffs gegen COVID-19 verabreicht. Die Rate der gemeldeten Nebenwirkungs-Verdachtsfälle: 0,2%. Bei der mRNA-Vakzine von Moderna (2,6 Mio. injizierte Dosen) lag die Häufigkeit solcher Meldungen bei 0,18%. Die Vektorvakzine von AstraZeneca (9,2 Mio. Dosen) lag mit einer Meldungsrate von 0,3% in einem ähnlichen Bereich.
In Österreich war die Situation für den Beobachtungsraum vom 27. Dezember 2020 bis zum 16. April 2021 mit einer Ausnahme ganz ähnlich: Bei 1,625.732 Mio. verabreichten Dosen des Pfizer/BioNTech-Impfstoffs gab es 4.820 Nebenwirkungsmeldungen. Das entsprach 0,296%. Bei der Moderna-Vakzine (206.058 verabreichte Dosen) erfolgten 705 Meldungen (0,342%). Für die 571.834 injizierten Dosen des AstraZeneca-Vektorimpfstoffs ergaben sich 14.739 Meldungen oder 2,577%. - In Österreich wurden damit für die AstraZeneca-Vakzine zehn Mal häufiger potenzielle Nebenwirkungen gemeldet als international. Laut der Expertin dürfte hier wohl der "schlechte Ruf" der Vakzine in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt haben.
Dabei müssen Impfstoffe insgesamt "sicherer" und vor allem komplikationsloser sein als Therapeutika. Vakzine werden Gesunden zur Abwehr einer Gesundheitsgefährdung verabreicht. Bei Kranken ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis in Richtung möglichem Risiko verschoben, weil es ja um die Heilung oder Beherrschung einer bereits bestehenden Erkrankung geht. Liegt also bei Therapeutika das Schwergewicht der Überwachung auf echten Nebenwirkungen, sieht das bei Vakzinen anders aus.
Bei Impfstoffen haben wir eine sehr geringe Akzeptanz von Risiken. Hier liegt der Fokus auf unerwünschten Ereignissen nach einer Impfung.
Ein Krebsmedikament dagegen träfe mit seinen möglichen Nebenwirkungen angesichts einer lebensbedrohlichen Situation auf viel mehr Akzeptanz. Speziell bei Impfungen treten unerwünschte Reaktionen (zum größten Teil eben Schmerzen an der Einstichstelle, Schwellungen, Kopfweh, Fieber etc.) im Rahmen von Massenimmunisierungen auch binnen kurzer Zeit gehäuft auf.
Hier wäre noch viel zu verbessern. "Die Pandemie ist eine Chance für die Arzneimittelsicherung und die Überwachung (auf mögliche Nebenwirkungen von Medikamenten; Anm.). Da müssen wir besser werden", sagte Jochen Schuler, Referent für Medikamentenangelegenheiten der Österreichischen Ärztekammer.
Die Daten dazu: Rund 2,6 Millionen Österreicher sind chronisch krank und benötigen damit zum allergrößten Teil regelmäßig Arzneimittel.
Bei Erwachsenen kommt man in Studien auf einen Anteil von 5,2 Prozent an Personen, welche mit Arzneimittelnebenwirkungen konfrontiert sind. "Zu erwarten wäre, dass in Österreich 135.000 Menschen (Patienten außerhalb der Krankenhäuser; Anm.) Nebenwirkungen haben. Es werden aber jährlich nur zwischen 6.000 und 10.000 Fälle von Nebenwirkungen gemeldet. Das entspricht weniger als sechs Prozent", sagte der Experte.
Verpflichtet zur Meldung sind im Grunde alle Gesundheitsberufe. Von 8.163 Meldungen in einem Jahr entfielen aber 82 Prozent auf die Pharmaindustrie, nur 12,9 Prozent auf Ärzte und Apotheker und 4,7 Prozent auf Patienten. Insgesamt sollten also alle Beteiligten dringend danach trachten, ihre "Meldemoral" zu steigern. Sonst mangelt es der Arzneimittelüberwachung an den entscheidenden Informationen zur weiteren Analyse. Die Sache wird immer wichtiger: Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Druck führt nämlich zur immer früheren, oft bedingten, Zulassung von neuen Arzneimitteln. Und wenn eine sehr seltene Nebenwirkung statistisch erst nach Millionen Anwendungen auffallen sollte, wären mehr Meldungen umso wichtiger.