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Die Einführung eines digitalen Pflegesystems bringt Mitarbeiter mit geringer IT-Erfahrung an den Rand ihrer Belastbarkeit. Eine deutsche Klinik setzt auf ein Key User-Konzept, in dem IT-affine Pfleger ihren Kollegen über die Anfangsschwierigkeiten hinweghelfen.
Wenn im Pflegebereich des Klinikums Mutterhaus der Borromäerinnen im deutschen Trier, nicht weit weg von der Luxemburgischen Grenze, ein digitales Dokumentationssystem eingeführt wird, beschert dies vielen Menschen eine neue Form von Arbeit. Gut die Hälfte der 2.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krankenhauses legte vor vier Jahren den Stift zur Seite und fand sich wieder vor Monitor und Keyboard, um die digitale Patientenakte zu befüllen. Dabei gab es nicht wenige, denen das moderne Getue auf die Nerven ging.
Für Pflegedirektor Stephan Lutz war die Einführung der digitalen Pflegedokumentation dennoch ohne Alternative. Eine analog gewartete Patientenkurve sei „nicht zeitgemäß“ und die „Vorteile der Digitalisierung seien unverzichtbar“, vor allem, wenn man mit einer „immer dünner werdenden Personaldecke das Auslangen finden müsse“ wie der Pflegedirektor des Hauses die aufwendige Umstellung begründet. Dabei sei „klar gewesen, dass wir uns etwas einfallen lassen müssen, um unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Umstellung auch mitzunehmen“, so Stephan Lutz.
Schlüsselmenschen
Software ohne Daten ist nutzlos. Quellen dafür sind die digitalen Pflegeberichte, die Verlaufsdokumentationen, der digital abgebildete Pflegeprozess und die digitalen Patientenkurven. Die Pflegesoftware ist zudem eng an die Gesamt-IT des Spitals, das Krankenhausinformationssystem KIS, angedockt. Es liegt an den Mitarbeitern, die Tools richtig zu füttern. Dazu muss die Mannschaft den richtigen Einstieg ins System finden.
Dario Sljukic war klar, dass dies „von unseren Kollegen und Kolleginnen in der Umsetzung digitale Kompetenzen“ braucht, und die seien nicht jedermanns oder jederfrau Sache. Er ist Leiter des IT-Bereiches „KIS-Applikationen“. Sljukic war in seiner ersten Karriere Pfleger, bevor er den Weg des IT-Managers einschlug – eine wertvolle Kombination für jemanden, der an der Schnittstelle zwischen Pflege und Software sitzt.
Um die personelle Implementierung der digitalen Dokumentation rasch und vor allem nachhaltig sicherzustellen, griff das Klinikum zu einem nicht ganz neuen, aber wirksamen Managementtrick: Es entwickelte ein Ausbildungsprogramm nach dem Peer-to-Peer-Prinzip: Geschulte Kollegen und Kolleginnen schulen Kolleginnen und Kollegen – und dies auf Augenhöhe. „Am Anfang gab es sicher Vorbehalte“, erinnert sich Pflegedirektor Lutz. Um die Mitarbeiter ins Boot zu holen, wurde von jeder Station mindestens eine Pflegekraft benannt, sogenannte Key User, die sich – im engen Kontakt mit der IT – zunächst die Programme selbst aneigneten und im nächsten Schritt alle Mitarbeiter ihres Teams in den spezifischen Software-Programmen schulten. „Dieser Weg der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches über einzelne Pflegekräfte als Multiplikatoren hat sich als äußerst effizient erwiesen“, so der Programmverantwortliche Sljukic. Die Schlüsselkräfte – aktuell an die 100 im gesamten Mutterhaus-Klinikum – übernehmen mehrere Rollen. „Wir sind die Ersten, die Neuerungen oder Updates der Software-Programme testen und der IT etwaige Fehler oder Störungen in den Anwendungen berichten“, wird Heiko Koch in einer Aussendung zitiert. Er ist Key User und Stationsleiter der Inneren Medizin 2 im Klinikum Mutterhaus. In der Softwaresprache agieren die Key User als Beta-Tester. Später, in der Implementierungsphase, übernehmen die eingeschulten Kolleginnen und Kollegen ihre Hauptaufgabe. Sie werden zu Lehrern, Ansprechpersonen und Umsetzern, die die Kolleginnen und Kollegen bei der Handhabung der Software unterstützen.
Die Rekrutierung des Schlüsselpersonals setzt auf Freiwilligkeit. „Alles andere funktioniert nicht“, versichert Stephan Lutz. Angeworben und angesprochen wurden die Key User über die Stationsleiter. Die Akzeptanz für die Rolle des IT-Beauftragten sei hoch, so Lutz: „Wir haben keine Probleme, Abgänge durch Mutterschutz oder Jobwechsel auszugleichen.“ Das Interesse der Pflegemitarbeiter an der IT-nahen Mitarbeit sei ungebrochen.
Dass dies so bleibt, dafür sorgt ein abgestuftes Belohnungssystem, das nur wenig mit Geld zu tun hat. „Testungen, Workshops oder Schulungen zählen zur Arbeitszeit“, betont der Pflegedirektor. Dabei habe sich die Ablenkung vom pflegerischen Alltag für die Key User als unerwartet reizvoll erwiesen. Es hätte mit Start des Digital-Programmes nie Personalnot für das Programm gegeben. Für die besonders engagierten IT-Pfleger gäbe es pro Update-Testung 45 Euro steuerfrei pro Monat. Unter den Schlüsselanwendern wurden dann noch drei Positionen geschaffen, die mit besonderen Aufgaben betraut werden. Sie dürfen von Projekt zu Projekt ebenfalls mit Boni rechnen. Unter diesen drei „Super“-Key Usern, wie sie Stephan Lutz nennt, gibt es einen Job als „Head of Team“, der neben dem Pflegedienst zeitlich stärker engagiert an der Seite des KIS-Teams von Dario Sljukic agiert. Für diesen Super-Key User gibt es eine finanzielle Zulage.
Der Roll-out unter den Mitarbeitern stellte für das Klinikum-Management nicht die einzige Herausforderung dar. „Es ist immens wichtig, nicht nur IT-Kenntnisse in der IT-Steuerung zu haben, sondern auch Pflegewissen zu integrieren“, unterstreicht Dario Sljukic. Aktuell wechseln eine erfahrene Kollegin aus dem ambulanten Pflegedienst und ein Kollege aus der Intensiv- und Anästhesie-Pflege in das IT-Team des Projektleiters.
Dabei sind die Pflegemitarbeiter auf den sicheren stations- und sektorübergreifenden Datenaustausch angewiesen – und hier schlägt digital ganz klar analog. Das Resultat sind Zeitersparnis durch eine digitale Patientenkurve und ein Pflegeplan, der auf Basis aller verfügbaren Daten erstellt wird. Und das Pflegeteam weiß aus dem stets einsehbaren Durchführungsnachweis, welche pflegerischen Leistungen bei welchem Patienten anstehen. Die Vorlage von Standard-Leitfäden und klinischen Leitlinien beschert Pflegerinnen und Pflegern ebenso wie der Stationsleitung eine hohe Qualitätssicherheit. Im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen schlägt die Pflegesoftware einen auf den Patienten zugeschnittenen Betreuungspfad vor, der auf einem Bündel von 2.000 Maßnahmen basiert. Am Ende des Eincheck-Prozesses auf der Station steht ein personalisierter Pflegeplan für jeden Patienten, der die täglich zu verrichtenden Tätigkeiten auflistet: Wie in einer Checkliste „prüfen unsere Kolleginnen am Ende ihrer Schicht, ob die einzelnen Maßnahmen am Patienten durchgeführt wurden“, erklärt Stephan Lutz die erhöhte Transparenz der Pflegequalität. Dass es daneben noch eine betriebswirtschaftliche Komponente gibt, wird von jedem Krankenhausmanagement freudig quittiert: