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"Waren es von Jänner bis Juli 2019 in Wien 2.325 gemeldete Unterbringungen, sind es heuer im gleichen Zeitraum 2.720, also ein Plus von 17 Prozent. In ganz Österreich haben wir im ersten Halbjahr 2022 13.590 Unterbringungen verzeichnet – Tendenz steigend", berichtet Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter der Patientenanwaltschaft. Diese steht jenen Menschen zur Seite, die zwangsweise auf einer psychiatrischen Abteilung untergebracht sind.
Rita Gänsbacher, Bereichsleiterin der Patientenanwaltschaft für Wien, schlägt Alarm: "Dem Anstieg der Anzahl an Unterbringungen steht die Tatsache gegenüber, dass auf Grund des Personalmangels in der Pflege immer mehr Betten gesperrt sind und so Behandlungsplätze reduziert werden. Nur mehr wenige akut schwer Erkrankte erhalten kurzfristig einen Behandlungsplatz, alle anderen Patienten werden nach Hause geschickt, bestenfalls notdürftig in den massiv unterbesetzten Spitalsambulanzen versorgt. Das ist fahrlässig."
Auch in Salzburg und Tirol kennt man dieses Problem: "In Schwarzach fehlen aktuell 20 Betten, in Innsbruck zwölf Betten auf der offenen Frauenstation, die Landes-Pflegeklinik Tirol kämpft ebenfalls mit massiven Personalproblemen. Leidtragende sind die Patienten mit psychischer Erkrankung", ergänzt Christine Müllner-Lacher, Bereichsleiterin der Patientenanwaltschaft für Salzburg und Tirol.
Wer ein Bett auf einer psychiatrischen Station erhalten hat, bekommt im Spital die Auswirkungen des Personalmangels zu spüren: "Uns erreichen Beschwerden darüber, dass Patienten sehr lange auf Unterstützung bei der Körperpflege warten. So musste zum Beispiel ein Patient 40 Minuten in nasser Bettwäsche ausharren. Leider kein Einzelfall", berichtet Gänsbacher.
Patienten, die nur in professioneller Begleitung die Klinik kurzfristig verlassen können, um dringende Angelegenheiten zu erledigen oder einfach nur um ihr Recht auf Frischluft wahrzunehmen, haben immer häufiger das Nachsehen. Eine besonders drastische Auswirkung des Personalmangels: Umfassende Deeskalationsmaßnahmen in akuten Krisensituationen, ein wichtiges Instrument, um Freiheitsbeschränkungen zu vermeiden, entfallen immer häufiger.
"Das bedeutet für die Patienten Immobilisation, Absonderung in ein Zimmer oder Fixierung ans Bett – vermehrt auch mit Hilfe von nicht psychiatrisch ausgebildetem Personal. Eine rechtlich unzulässige Praxis, die nicht den gängigen fachlichen Standards entspricht", kritisiert Gänsbacher.
Die ohnehin schon problematische Situation in den Kliniken wird durch fehlende Nachsorgeeinrichtungen zusätzlich befeuert. "Wir haben überall in den Psychiatrien Patienten, die auf Pflegeheimplätze warten. Sie erhalten nicht die Betreuung, die sie in einer Nachsorgeeinrichtung bekommen und auch dringend benötigen würden. Außerdem fehlen diese Betten im Psychiatriebetrieb", erklärt Müllner-Lacher. In Kufstein vertritt sie einen Patienten, der seit zehn Monaten untergebracht ist, weil es für ihn keinen Heimplatz gibt. Er wurde zwischen Kufstein und Hall im Drei-Wochen-Takt hin und her verlegt, um die jeweilige psychiatrische Station zu entlasten. Erst ein von den Patientenanwälten angeregtes Gutachten stoppte diese Praxis, da jede Verlegung des Patienten zu einer weiteren psychischen Verschlechterung seines Zustandes führte.
"Wenn bei der prekären psychiatrischen Versorgung in Österreich nicht rasch Abhilfe geschaffen wird, dann kollabiert das System", ist Christine Müllner-Lacher überzeugt. Damit das nicht geschieht, muss die Versorgung verbessert werden. "Es braucht auf der einen Seite Hometreatment-Angebote, also eine Behandlung von Erkrankten in ihrem Zuhause, und einen Ausbau der ambulanten psychiatrischen Einrichtungen. Auf der anderen Seite muss es weiterhin genügend verfügbare Betten im Spital geben. Eine rasche Ausbildungsoffensive für die psychiatrische Pflege sowie die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen sind daher unumgänglich", appelliert Bernhard Rappert an die Politik.
Seit mehr als 10 Jahren gibt es in Österreich einen gravierenden Mangel an Kinder- und Jugendpsychiatern sowie an Erwachsenenpsychiatern. In beiden Fachgebieten wird sich der Mangel an Fachärzten durch Pensionierungen in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Sowohl die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (ÖGKJP) als auch die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) haben in der Vergangenheit wiederholt auf diese Probleme hingewiesen.
Vor einigen Jahren wurden organisatorische Hürden für die Ausbildung zum Facharzt geschaffen. So muss beispielsweise für jeder Arzt in Ausbildung ein Facharzt zur Verfügung stehen. Fachgebiete, die derzeit zu wenig Fachärzte haben, werden aber so nie die Zahl der Fachärzte erhöhen können. Eine erste Ausnahme konnte kürzlich für die Kinder- und Jugendpsychiatrie erreicht werden.
Wenn wir wirklich mehr Psychiater ausbilden wollen, müssen Stolpersteine beseitigt werden.
Immer wieder werden "einfache" Lösungen vorgeschlagen, wonach man etwa nur ausreichend Werbung machen müsse um genügend Fachärzte für bestimmte Bundesländer zu bekommen. Da der beschriebene Mangel aber in allen Bundesländern vorhanden ist, macht es keinen Sinn, Fachärzte von einem Bundesland in ein anderes abzuwerben: das Stopfen von Löchern in einer Region führt zu neuen Löchern in anderen Regionen. Diese Mängel können nur durch zusätzliche Ausbildungsstellen reduziert werden. Univ.-Prof.in Kathrin Sevecke, Präsidentin der ÖGKJP, betont: "Es ist dringend erforderlich, in allen Bundesländern zusätzliche Ausbildungsstellen zu schaffen. Sonst wird es nie gelingen, das Defizit an Fachärzten zu beseitigen."