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Das Rieder Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern erprobt ein KI-Programm, das bei jedem Patienten das Ansteckungsrisiko für nosokomiale Infektionen berechnet. Bei gefährdeten Personen werden frühzeitige Gegenmaßnahmen eingeleitet.
Künstliche Intelligenz regelt zunehmend den Tagesbeginn in Kliniken. „Wir schauen jeden Morgen in das Programm und HAIDi sagt uns, wie viele Patienten nosokomiale Infektionen haben könnten“, freut sich Milo Halabi im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried. Innerhalb weniger Minuten weiß der Mediziner, wie viele Betroffene es auf welchen Stationen gibt, tagesaktuell. Der Oberarzt und Leiter des Rieder Institutes für Pathologie ist Teil des Hygieneteams in dem Krankenhaus der Vinzenz Gruppe. Bis vor Kurzem musste man auf den Anruf der Stationen warten, um sich Patienten näher anzusehen, bei denen der Verdacht bestand, sie hätten sich einen Spitalskeim eingefangen. Nun kann man aktiv werden, bevor die Symptome erkennbar werden. Möglich macht dies die Software HAIDi, entwickelt vom tschechischen Start-up Datlowe. Sie bringt Milo Halabi ins Schwärmen: „Sie macht genau das, wovon wir als Hygiene-Experten nur geträumt haben.“
Dabei wird eine große Menge an digitalen Daten aus der Klinik zusammengetragen. Basis dafür sind neben dem Krankenhaus-Informationssystem auch andere hausinterne Quellen. Die neue Software nimmt aus den digitalen Applikationen Parameter des Patienten und kann frühzeitig analysieren, wie hoch das Risiko einer nosokomialen Infektion ist: Die Daten werden dabei nach international anerkannten Maßstäben eingeordnet. Da die Datenmenge mit jedem Tag wächst, lernt der Algorithmus mit. Das Hygieneteam entscheidet dann bei jedem Verdachtsfall, ob tatsächlich eine Infektion vorliegt. Gegenmaßnahmen werden im Vergleich zu analogen Zeiten deutlich früher eingeleitet.
Nosokomiale Infektionen werden auch als „Gesundheitssystem-assoziierte Infektionen“ oder kurz „HAI“ bezeichnet. Die Abkürzung HAI leitet sich vom englischen Begriff „Healthcare-associated infections“ ab. Der Ausdruck ist treffender, da er ausschließlich Infektionen umfasst, die frühestens 48 bis 72 Stunden nach der Aufnahme in einer Gesundheitseinrichtung zu ersten Symptomen führen. Je nach Studie versterben in Österreich jährlich zwischen 2.500 und 5.000 Patienten an multiresistenten Krankenhauskeimen. Allein in der EU würden 20 Milliarden Euro nur für die Bekämpfung von HAIs ausgegeben.
HAIs betreffen in unserem Land im Durchschnitt rund vier Prozent jener Personen, die sich in eine Klinik oder eine Pflegeeinrichtung begeben (Quelle: gesundheit.gv.at). Vorrangig geht es dabei um Harnwegsinfektionen, Wundinfektionen und Atemwegsinfektionen. So können geschwächte Menschen auf einer Intensivstation durch künstliche Beatmung eine Lungenentzündung bekommen. Auch ein Harnwegsinfekt kann ausgelöst werden: Dabei kann es sich um Bakterien des Patienten handeln, die durch das Einführen eines Harnkatheters in die Harnblase geraten. Aber auch nicht ausreichende Hygiene-Maßnahmen vonseiten des Personals können die Ursache sein. Der wirksamste Beitrag zur Verhinderung von HAI liegt in der korrekt durchgeführten Desinfektion der Hände. Handhygiene ist 150 Jahre nach Ignaz Semmelweis’ Publikationen immer noch die zentrale Therapie gegen Krankenhauskeime.
Ganz wesentlich ist punktgenaue Information über die Verbreitung der HAI. Bis jetzt griff man primär auf Daten zu, die in zahlreichen Kliniken zum Teil europaweit gesammelt wurden. Ein Beispiel ist eine Onlineplattform, die von der Charité Universitätsmedizin Berlin betrieben wird: das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System, kurz KISS. Die gesammelten Daten liefern die Grundlage, um Risiken zu erkennen und Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Das Krankenhaus Ried ist einer der Teilnehmer an KISS.
Das Innviertler Hygieneteam suchte aber nach umfassenderen Datenanalysen. Seit Juli 2022 arbeiten die Rieder Mediziner und Medizinerinnen im Rahmen einer Entwicklungskooperation auch mit dem neuen System des tschechischen Start-ups. Die Software ist dabei nur in der jeweiligen Klinik installiert, die Daten verlassen das Haus nicht.
Katja Österreicher ist mitverantwortlich für das Projekt: Sie leitet die Stabsstelle für Informationsmanagement der Vinzenz Gruppe, zu der neben dem Krankenhaus in Ried und dem Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern im 6. Wiener Bezirk noch vier weitere Kliniken vor allem in Wien und Oberösterreich gehören. Ihre Aufgabe ist es, auf Innovation und Digitalisierung zu setzen. Bereits 2019 stieß sie in ihrer Funktion als Mentorin beim „Health Hub Vienna“, dem größten Accelerator-Programm Österreichs, auf das Produkt von Datlowe. Corona hat die Einführung dann nach hinten verschoben.
Die Dringlichkeit verbesserter hygienischer Kontrolle ist hoch: Die Belegszeit in den Krankenhäusern wird immer kürzer, die Infektionen treten aber immer später auf. Umso wichtiger ist es, sie rechtzeitig zu erkennen. Katja Österreicher erkannte die Vorteile der Software: „Die Oberfläche ist sehr anwenderfreundlich. Sie lässt sich sehr gut in die tägliche Routine integrieren und bedeutet keinen Mehraufwand.“ Es wären keine IT-Spezialisten nötig. Eine niederschwellige Einschulung reiche völlig.
Katja Österreicher sucht bewusst nach Start-ups und jungen Unternehmen, die einen Mehrwert für die Patienten und die Krankenhäuser bringen: „Wir haben es Datlowe ermöglicht, erstmalig am österreichischen Markt mit einem Gesundheitsträger ein Pilotprojekt durchzuführen.“
HAIDi hat außerhalb Österreichs schon viel Erfahrung gesammelt. Jakub Kozák, CEO von Datlowe, skizziert die Ausgangslage und die weiteren Pläne: „Wir sind in Tschechien sehr erfolgreich: Ein Viertel der Akutbetten wird hier von uns erfasst. Unser Hauptziel ist es, mit unserem Angebot auch in deutschsprachige Kliniken vorzudringen.“
Quelle: ÖKZ, 64. JG, 101-02/2023, Springer-Verlag.