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Eine hessische Studie beweist den verstärkten Eintrag von Desinfektionsmitteln in Flüssen, Böden und Äckern. Das Problem dabei: Die Rückstände stimulieren die Entwicklung von antibiotikaresistenten Keimen.
Medikamente werden vom menschlichen Organismus nur unvollständig verarbeitet – 90 % der Wirkstoffe landen über Urin und Faeces in der Toilette und in weiterer Folge in der Kläranlage. Diese sind jedoch nicht darauf ausgerichtet, Mikroverunreinigungen herauszufiltern. Je nach Stabilität und Abbauverhalten der jeweiligen Substanz können somit auch nach dem Klärprozess Rückstände verbleiben. Leicht wasserlösliche Substanzen gelangen mit dem geklärten Abwasser in Oberflächengewässer, andere reichern sich im Klärschlamm an. Der nährstoffreiche Klärschlamm entpuppt sich mit seiner hohen Bakteriendichte und den Antibiotikarückständen als Hot-Spot für die Bildung und Weitergabe von Resistenzen.
Problematisch ist das vor allem dann, wenn Klärschlamm als Dünger auf Felder ausgebracht wird. Rückstände gelangen in den Boden, in Oberflächengewässer, Seen und Flüsse. Ähnliches passiert in der Tierhaltung. Damit sich Tiere in ihren engen Bestallungen nicht gegenseitig anstecken, erhalten sie präventiv Antibiotika, die sich nicht nur im Fleisch und somit auf unseren Speiseplänen finden, sondern auch in ihren Ausscheidungen. Als Gülle oder Dung gelangen sie dann auf Felder, Wiesen und in Gewässer. Die Folge: Die dort lebenden Umweltbakterien werden nach und nach durch Mutationen unempfindlich gegenüber Antibiotika.
Der Übertrag auf den Menschen geschieht durch Bäder in verunreinigten Gewässern, ungewaschene oder nicht vollständig gegarte Lebensmittel, die zuvor mit Antibiotika-kontaminiertem Wasser in Berührung kamen. Und das passiert häufiger, als man denkt, etwa bei Feldgemüse, Fisch und Co.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet schon lange mit einem globalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen an geeigneten Lösungen. Auf nationaler Ebene spiegelt er sich im Nationalen Aktionsplan zur Antibiotikaresistenz (NAP-AMR) wider und beschreibt die in Österreich geplanten Projekte und Vorgehensweisen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen. So vielfältig die Eintragsquellen sind, so vielfältig sind auch die Handlungsoptionen: Ärzte sollen den Umgang mit Antibiotika selektiver handhaben, denn nicht hinter jedem Schnupfen steckt eine bakterielle Infektion. Patienten wiederum werden über die gezielte und richtige Antibiotikaeinnahme aufgeklärt. Und ein maßvoller Medikamenten-Einsatz in der Landwirtschaft muss zur Regel werden.
Die Maßnahmen sind notwendig. Gut 90 Jahre nach der Entwicklung erster Antibiotika hat die stärkste medizinische Waffe gegen Bakterien gehörig an Schusskraft verloren. Das 1928 per Zufall vom Bakteriologen Alexander Flemming entdeckte Penicillin hat Heilungsprozesse revolutioniert, erlebte auf den Schlachtfeldern des zweiten Weltkriegs erste Hochzeiten und wurde eifrig weiterentwickelt. Neue Präparate und neue Wirkstoffe folgten. Antibiotika kommen immer dann zum Einsatz, wenn eine bakterielle Entzündung bekämpft werden soll. Ziel ist, durch den geeigneten Wirkstoff den krankmachenden Bakterienstamm schnellstmöglich abzutöten. Nun wurde das Wirkungsspektrum des einstigen Wundermittels stark eingeschränkt. Bakterien werden nur teilweise abgetötet, die widerstandsfähigen (resistenten) überleben und breiten sich aus. Die Nachkömmlinge sind dann ebenfalls vor Antibiotika geschützt. Bereits kleine Wunden oder Operationen werden durch Infektionen zur tödlichen Gefahr – immer mehr Menschen sterben. Was ist passiert? Schuld daran sind Unempfindlichkeiten, sogenannte Resistenzen, von Bakterien gegenüber Antibiotika. Insbesondere multiresistente Bakterien, also jene, die gegen eine Vielzahl an Antibiotikaklassen unempfindlich geworden sind, erweisen sich als problematisch und lassen die Heilkunst an ihre Grenzen stoßen.
Die Corona-Pandemie hat die Problematik der multiresistenten Bakterien befeuert. Neben Antibiotika und anderen Wirkstoffen erweisen sich auch Desinfektionsmittel als Verursacher von Keimresistenzen. Nahezu überall gab und gibt es Desinfektionsmittelspender, mit dem Ziel sich vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Virus zu schützen. Ohne Desinfektion würden Kliniken zu einem einzigen Viren-Eldorado. Das Problem dabei: Konventionelle Desinfektion bleibt nicht ohne Nebenwirkungen. Der massenhafte Einsatz von Desinfektionsmittel hinterlässt seine Spuren in den Böden und Äckern unserer Landschaften. In einer breit angelegten Studie untersuchten Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität das Vorkommen wichtiger Wirkstoffe von Desinfektionsmitteln und Tensiden, den Quartären Alkylammoniumverbindungen (kurz QAAV), in hessischen Böden. Das Ergebnis: In 97 % der 65 untersuchten Bodenproben konnten QAAV nachgewiesen werden. Dabei zeigte sich, dass sowohl Acker- als auch Grünland-, Wald- und Weinbaustandorte mit dem Fremdstoff belastet waren. In einer an der JLU betreuten Doktorarbeit konnte gezeigt werden, dass vor allem Böden, die regelmäßig durch Hochwasser der Flüsse Rhein und Main überschwemmt werden, stark mit QAAV kontaminiert sind. Überraschend war hierbei, dass QAAV selbst in Waldböden nachgewiesen werden konnten, obwohl ein unmittelbarer Eintrag durch Überschwemmungen oder beispielsweise über Gülle-, Klärschlamm- oder Pestizidausbringung wie auf landwirtschaftlichen Flächen in Wäldern allgemein nicht gegeben ist. Der Gehalt der Desinfektionsmittel überschritt teilweise Werte von 1 mg pro kg – und liegt damit zwei bis drei Größenordnungen oberhalb von Verunreinigungen, wie sie für Arzneimittel und Antibiotika in Böden nachgewiesen wurden. Problematisch an QAAV und ihrem Vorkommen in der Umwelt ist, dass sie Antibiotikaresistenzen verursachen können.
Wie viel von dem Wirkstoff tatsächlich in der Umwelt landet und wie lange er dort verbleibt, hängt vor allem von der Art des Antibiotikums sowie seiner Stabilität ab. Fluorchinolone – zentraler Wirkstoff vieler Breitbandantibiotika und oft bei Harnwegsinfekten o.ä. eingesetzt- sind besonders kritisch, da sie kaum abgebaut werden und noch dazu hoch wirksam sind. Lange hat man dieses Problem massiv unterschätzt, denn die Wirkstoffe gelangen stark verdünnt in den weiteren Kreislauf. Es reichen jedoch geringste Konzentrationen, um Resistenzen zu fördern. Die Rückstände von Desinfektionsmitteln in Flüssen und Böden sind bislang unbeachtete Trigger von resistenten Bakterienstämmen. Der Schluss des hessischen Wissenschaftsteams: Eine unregulierte Verbreitung der Desinfektionsmittelgruppe der Quartären Alkylammoniumverbindungen muss unterbunden werden. Wir finden alles wieder in unseren Böden.
Quelle: ÖKZ, 64. JG, 3-4/2023, Springer-Verlag.