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In Zukunft könnte ein breites Screening von Kindern auf ein Risiko für Typ-1-Diabetes sinnvoll werden. Diese Krankheitsform beruht nämlich auf Autoimmunprozessen, die man im Blut leicht feststellen kann. In den USA wurde vor kurzem ein erstes Medikament zugelassen, welches den Ausbruch der Erkrankung zumindest verzögern kann, hieß es jetzt bei einer Pressekonferenz aus Anlass des Deutschen Diabetes Kongresses 2023.
Bei der Großveranstaltung in Berlin (17. bis 20. Mai) diskutieren führende Experten auch den aktuellen Stand der Forschung zum Typ-1-Diabetes, ehemals juveniler Diabetes genannt. Etwa vier von 1.000 Kindern erkranken daran. Die Trends zeigen stark nach oben. Bis 2040 dürfte sich die Zahl der Betroffenen verdoppeln. Aktuell ist Typ-1-Diabetes bereits die häufigste chronische Stoffwechselerkrankung in der Altersgruppe bis zu 20 Jahren. In Österreich leiden etwa 30.000 Menschen an Typ-1-Diabetes. Insgesamt dürfte es rund 800.000 Zuckerkranke geben, die allermeisten davon mit Typ-2-Diabetes (ehemals "Altersdiabetes").
"Typ-1-Diabetes ist nicht heilbar, lässt sich aber mit den modernen Methoden der Insulintherapie gut behandeln", sagte Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft. "Dennoch bleibt für die Betroffenen die Belastung durch eine chronische Erkrankung. Nicht nur für die Erkrankten selbst, auch für deren Familien verändert sich mit der Diagnose das Leben oft massiv." Während bei dem viel häufiger auftretenden Typ-2-Diabetes zu Beginn vor allem eine Lebensstiländerung (Gewichtsabnahme etc.) und dann zumeist oral einnehmbare Arzneimittel zur Blutzuckersenkung eingesetzt werden, sind Typ-1-Diabetiker sofort nach Ausbruch der Erkrankung auf Insulin angewiesen. Die aufgetretenen Autoimmunprozesse haben zu diesem Zeitpunkt die Insulin-produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse bereits vernichtet.
Hier könnte sich aber ein echter Paradigmenwechsel abzeichnen. Bei dem Kongress diskutieren nämlich Wissenschaftler die Chancen, Risiken und die ethischen Aspekte eines derzeit in Studien erprobten Antikörperscreenings, das bei Kindern eine in der Zukunft auftretende Diabeteserkrankung nachweisen soll. Die Antikörper, welche die Betazellen des Pankreas angreifen, sind nämlich bereits längere Zeit vor Krankheitsbeginn im Blut nachweisbar.
"Die Früherkennung dieser Risikopatientinnen und -patienten könnte außerdem in eine die Erkrankung verzögernde Therapie mit einem monoklonalen Antikörper münden, welcher in den USA bereits zugelassen ist", schrieb die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Neu, Spezialist für Typ-1-Diabetes an der Universitäts-Kinderklinik in Tübingen: "Durch ein in Studien bereits durchgeführtes Antikörperscreening besteht die Möglichkeit, bei Kindern ein künftiges Erkrankungsrisiko zu identifizieren, lange bevor erste Symptome auftreten und die Krankheit ausbricht. Seit Kurzem in den USA zugelassen und in Europa beantragt ist die Gabe des monoklonalen Antikörpers Teplizumab, der in Studien die Manifestation der Erkrankung nicht verhindern, aber um einige Jahre verzögern konnte."
"Doch bevor ein solches Screening durchgeführt wird, sind noch viele Probleme zu diskutieren. Zunächst muss eindeutig geklärt werden, welchen Nutzen eine solche Früherkennung für die betroffenen Kinder und deren Familien tatsächlich hat. "Dazu müssen noch viele offene Fragen geklärt werden - sowohl medizinische als auch ethische", betonte der Kinderdiabetologe. "So beispielsweise, wie treffsicher das Screening tatsächlich ist und wie mit falsch positiven Befunden von Betroffenen umgegangen wird, die dann mit der Belastung eines nicht vorhandenen Risikos leben."
Weiters sollte laut dem Experten nicht unterschätzt werden, dass das Wissen um eine künftige Erkrankung schon im Vorfeld ihrer Entstehung eine jahrelange Bürde sein kann. Schließlich stellt sich die Frage, ob der Einsatz von Teplizumab zur Krankheitsverzögerung einen echten Gewinn darstellt, weil damit bei noch gesunden Kindern auch ein starker Eingriff in das Immunsystem erfolgt.
Der monoklonale Antikörper bindet an der CD3-Oberflächenstruktur von T-Lymphozyten, die damit ausgeschaltet werden. Das führt zu einer Hemmung des Immunsystems und blockiert damit auch die falsch entstandene Abwehrreaktion gegen die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. In klinischen Studien konnte damit bei Hochrisikopersonen der Ausbruch von Typ-1-Diabetes um rund zwei Jahre verzögert werden.
Bei Kindern wird Typ-1-Diabetes noch immer oft sehr spät diagnostiziert. Das erfolgt laut den deutschen Experten häufig erst bei Auftreten einer schweren und gefährlichen Stoffwechselentgleisung, der sogenannten diabetischen Ketoazidose als medizinischem Notfall.