CGM Global
Lösungen
Produkte
Informationen zu unseren Produkten, die Gesundheitsprofis entlang der gesamten Patient Journey unterstützen.
ARTIKEL
Erfahren Sie alles über die Vision, Mission sowie die Menschen, die die CompuGroup Medical weltweit prägen.
Gottfried Kranz, ärztlicher Direktor des Neurologischen Rehabilitationszentrums (NRZ) Rosenhügel in Wien, verdeutlicht, warum ohne menschliche Zuwendung die fortschrittlichste Neuro-Rehabilitation keinen Heilungserfolg bringt. Er will sprichwörtlich die „Kirche im Dorf lassen“.
Gottfried Kranz: "Der technologische Fortschritt ist in vielen Bereichen tatsächlich sehr groß. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen: Nicht alles, was technisch ist, führt zu einer Verbesserung. Und nicht alles, was Verbesserung ist, ist technisch."
"… das können wir auch gerne. Mir geht es nur um die richtige Einordnung: Moderne Technologien sind in der Reha von Schlaganfällen sehr hilfreich – und zwar vor allem dort, wo es z.B. darum geht, dass schwerer betroffene Patienten hochrepetitive Übungen machen. Da stoßen Therapeutinnen und Therapeuten rasch an ihre Grenzen. Denken Sie nur an einen Patienten mit einer halbseitigen Lähmung und ausgeprägter Gleichgewichtsstörung. Damit dieser Patient wieder die ersten Gehübungen machen kann, benötigen Sie zu Beginn bis zu vier Therapeuten – zwei, die ihn stützen, und zwei, die ihm helfen, die Beine zu bewegen. Das ist personalintensiv und sehr anstrengend für diese Therapeuten. Ein moderner Gangroboter ist da eine große Hilfe. Sehr nützlich sind auch Apps, die mit dem Gamification-Ansatz arbeiten und die Patienten spielerisch motivieren, ihre Übungen zu machen."
"… das kommt jetzt. Bei allen Möglichkeiten der Technologie, über die wir dann gerne noch im Detail sprechen können, bin ich von einem fest überzeugt: Technologie ist gut, aber der menschliche Faktor ist durch nichts zu ersetzen. Die Beziehung zu Arzt und Therapeuten ist das, was den Patienten trägt. Das wird nie verschwinden."
"Da gibt es einiges. Ich denke unter anderem an die zielorientierte Rehabilitation und zitiere dabei gerne Viktor Frankl: ´Wer ein Warum zu leben hat, verträgt fast jedes Wie.´ Man bespricht mit den Patienten zu Beginn der Reha als Erstes, was das gewünschte Teilhabe-Ziel ist. Was will der Mensch, der einen Schlaganfall erlitten hat, erreichen? Warum tut er sich die Reha-Tretmühle überhaupt an? Geht es um die berufliche Eingliederung? Will sie wieder auf die Enkel aufpassen können? Will er selbstständig ins Badezimmer gehen können, oder hat sie oder er vor, noch einmal auf einen 4.000er zu steigen? Von diesem Teilhabe-Ziel leiten sich dann die Aktivitätsziele ab und daraus die konkreten Reha-Maßnahmen. Dieser Ansatz hat sich in den vergangenen Jahren immer stärker durchgesetzt und entspricht dem ICF-Modell der WHO. Auch die PVA hat ihr neues Leistungsprofil danach ausgerichtet. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung."
"Der ist groß und wird weiter an Bedeutung gewinnen. Es gibt aber in der Medizin ein ähnliches Phänomen wie in der Automobilindustrie: Ich denke da zum Beispiel an das Smartphone. Das konnte am Anfang deutlich mehr als das Auto – und bei manchen Modellen funktioniert die Anbindung des Smartphones bis heute nicht gescheit. Worauf will ich hinaus?"
"… der technische Fortschritt kommt nicht sofort an. Wir haben enorme Fortschritte in der Kommunikation, der Computertechnologie und der Robotik gemacht. Aber das sind noch keine fertigen Medizinprodukte. Wenn es auf Apple oder Android neue Ansätze in der Gamification gibt, lässt sich das nicht unmittelbar in die Medizin übersetzen. Wir haben in der Reha andere Anforderungen als in der Unterhaltungselektronik. Die Zuverlässigkeit muss viel höher und der Datenschutz gewährleistet sein – um nur zwei wichtige Aspekte zu nennen."
"Da gibt es eine ganze Reihe von Technologien: Robotik, VR-Systeme (virtuelle Realitäten) und Gamification habe ich bereits erwähnt. Eine Bedeutung hat auch die nicht-invasive Hirn- und periphere Stimulation. Für besonders wichtig halte ich aber ein Thema, das auf den ersten Blick vielleicht nicht so spektakulär wirkt – die Tele-Reha. Wir haben als NRZ Rosenhügel gemeinsam mit der SVS und Vamed-Care, unseren Eigentümern, und unter wissenschaftlicher Begleitung der MedUni Wien ein Projekt umgesetzt, das sich jetzt gerade in der Auswertung befindet: die ´Tele-Reha-Nachsorge´."
"Es handelt sich um das erste Programm für digitale Rehabilitation im neurologischen Bereich in Österreich. Wir haben 150 Patientinnen und Patienten in die Studie im Anschluss an einen stationären oder ambulanten Aufenthalt im NRZ Rosenhügel eingeschlossen. Die Patienten wurden per Zufall in die Tele-Reha-Gruppe eingeteilt oder erhielten die auch sonst üblichen weiteren Übungen für zu Hause mittels persönlich zusammengestellter Übungsblätter. In der Tele-Reha-Gruppe wurden die Patienten innerhalb eines Zeitraums von rund drei Monaten weiterbetreut. Das Programm bestand aus digitalen therapeutischen Einheiten sowie Videokonsultationen, wobei die Tele-Reha-Nachsorge frühestens eine Woche nach Ende des stationären oder ambulanten Aufenthalts begann. Wir haben die Patientinnen und Patienten noch während ihres Aufenthalts bei uns im Haus technisch und therapeutisch eingeschult. Danach haben sie eigenständig zu Hause trainiert. Wichtig dabei: Das Training wurde von Therapeuten supervidiert, und es gab digitale Sprechstunden mit den behandelnden Teams per Videokonferenz. Dafür haben wir den Patienten ein Tablet zur Verfügung gestellt."
"Das Projekt läuft dank unserer sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr gut und wird in einem Monat abgeschlossen sein. Dann werden die gesammelten Daten analysiert. Wir werden sehen, ob die Tele-Reha-Gruppe bessere Therapieerfolge aufweist oder die bereits erreichten Ziele nachhaltiger festigen kann. Es werden aber auch andere Bereiche angeschaut – zum Beispiel die Therapieadhärenz und ob und welche neurologischen Patienten mit einem Tablet, mit einer Therapie-Software und mit der Telemedizin zurechtkommen."
"Das ergibt sich allein schon aus der demografischen Entwicklung. Die Zahl der älteren Menschen, die Bedarf an einer Reha haben, wird weiter stark steigen. Zugleich sind wir in der Reha, so wie viele Bereiche im Gesundheitswesen, von einem massiven Personalmangel betroffen. Das bedeutet: Die Kapazitäten und Personalressourcen an den stationären Reha-Einrichtungen werden auf Dauer nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Hier kann Tele-Reha helfen. Zudem: Die Nachhaltigkeit und Wirksamkeit einer Reha-Behandlung hängt ganz maßgeblich davon ab, ob sich der Patient nach der stationären Reha auf die Couch setzt und Chips isst oder weiter konsequent seine Übungen macht."
"Da bin ich zuversichtlicher. Man kann die Grenzen des Machbaren verschieben. In den vergangenen Jahrzehnten sind gewaltige Fortschritte in der akuten Schlaganfallversorgung wie auch in der Hirnforschung gemacht worden. Und ich bin davon überzeugt, dass es weitere große Fortschritte geben wird. "
Quelle: ÖKZ 1/2025, 66. Jahrgang, Springer-Verlag.