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Der Wiener Wahlarzt Dr. Martin Gruber im Interview: „Wenn ich für ein halbstündiges Anamnesegespräch nur 15 Euro umsetze, fahre ich meine Ordination wirtschaftlich gegen die Wand.“
Martin Gruber: "Ganz ehrlich: Nein. Ich war nach meiner Ausbildung am AKH Wien in den Nuller-Jahren Oberarzt in Krems und habe 2009 parallel dazu eine Wahlordination für Sportorthopädie in Hainfeld eröffnet. 2011 habe ich das Projekt Alserstraße begonnen, das heute eine bewirtschaftete Ordinationsfläche von mehr als 500 Quadratmetern hat. Seit 2014 bin ich beruflich nur noch als Wahlarzt tätig. Meine Grundidee für das Medizinzentrum Alsterstraße war immer, einen One-Stop-Shop für meine Patienten anzubieten. Ich will die optimale Versorgung für Knie oder Hüftpatienten aus einer Hand anbieten, ohne den Patienten wegschicken zu müssen."
"Ich glaube nicht, dass das, was ich mache, von einem staatlich-solidarischen System zwingend abgedeckt werden muss. Meine angebotenen Leistungen orientieren sich an einem Maximallevel und gehen weit über ein durchschnittlich gutes Versorgungsniveau hinaus. Für den Heilanspruch, dem ich in dem eng definierten Indikationsbereich der chirurgischen Orthopädie gerecht werden will, sind im öffentlichen System nicht genügend Ressourcen vorhanden."
"Ich denke, hier muss zwischen den Behandlungszielen differenziert werden. Will mein Patient nach einer gewissen Zeit schmerzfrei und weitgehend unbeeinträchtigt seinem Büroalltag nachgehen und daneben noch Freizeitsport betreiben? Das kann das solidarische System leisten. Oder habe ich es mit Menschen zu tun, die innerhalb eines gewissen Zeitrahmens in den Berufsalltag integriert werden sollen oder müssen. Leistungssportler sind eine typische Zielgruppe – aber auch andere Patienten, die rasche und vollumfängliche Genesung aus bestimmten Gründen verlangen. Wir reden von Maximalversorgung, die wir anstreben."
"Für mich war immer klar, dass mich die chirurgische Seite meines Faches am meisten interessiert. Dafür muss ich mit meinem Patienten im Vorfeld viel reden. Das letzte Mal, als ich aktiv herausfinden wollte, was die Kasse für ein Anamnesegespräch bezahlt, waren es 6,17 Euro. Selbst wenn es heute doppelt so viel wäre: Wenn ich in einer halben Stunde nur 15 Euro umsetze, fahre ich meine Ordination wirtschaftlich gegen die Wand. Ich will nicht falsch verstanden werden: Das Kassenvertragssystem ist etwas, das im Generellen immer noch gut funktioniert. Letztendlich ist es aber nur über die Masse lukrativ. Objektiv funktioniert das in meinem Fach nicht. Und subjektiv will ich das nicht."
"Ich denke, dass das den meisten Kolleginnen und Kollegen zuwider ist. Man wird Arzt oder Ärztin, weil man eigene Entscheidungen fällen will. Jede Rahmenbedingung, die einen Mediziner in ein Zwangsverhältnis bringt, wird eine Abwehrreaktion auslösen. Ich glaube, dass man sich viel mehr Gedanken drüber machen sollte, wie man dieses System wieder so interessant macht, dass jemand freiwillig sagt: „Ja, das mache ich.“ Eine Zwangsverpflichtung wird den Beruf eher nicht attraktiver machen."
"Ich verstehe ihn. Es ist seine Aufgabe, das öffentliche System am Laufen zu halten. Aber die Perspektive der Mediziner ist eine andere. Das Gehalt eines Oberarztes sollte reichen, um ein Haus zu bauen, eine Familie zu ernähren, alle paar Jahre ein neues Auto anzuschaffen und zweimal im Jahr auf Urlaub zu fahren. Das geht sich heute nicht mehr aus."
"Nein, das tue ich nicht. Der aktuelle Drang in die Wahlarztpraxis hat bei den Klinikärzten viel zu tun mit dem Ärztezeitgesetz, das vor rund zehn Jahren gekommen ist. Ich habe in meiner Ausbildung und später als Oberarzt 80 und 100 Stunden in der Woche gearbeitet. Ich habe mich nie beschwert, weil ich und meine Kollegen auf gutes Geld gekommen sind. Durch Arbeitszeitregelungen für SpitalsärztInnen wurde nicht nur die Arbeitszeit pro Person begrenzt, sondern auch das Gehalt deutlich gesenkt. Viele bessern jetzt in der gewonnenen Freizeit ihre finanzielle Basis auf. Ich bin der Ansicht, dass der Beruf des Spitalsarztes so gut entlohnt werden muss, dass eine Wahlarzttätigkeit sich erübrigt."
"Alles, was die Versorgungssicherheit und die Versorgungsqualität für den Patienten verbessert, ist zu befürworten. Wir werden das zugunsten einer höheren Gesundheitstransparenz umsetzen –, auch wenn es ein administrativer Mehraufwand ist. Womit ich gar nichts anfangen kann, ist die Verpflichtung, als Wahlarzt die Patientenrechnung auch elektronisch bei der Krankenkasse einreichen zu müssen. Ich frage: Wozu? Wer gewinnt dadurch? Ich sehe keine Verbesserung der Behandlungssicherheit und keinen Fortschritt der Behandlungsqualität. Und meinen Patienten ist es egal. Das ist nur Pflanz."