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Der Linzer Gesundheitsökonom Wolfgang Bayer fragt im Interview, warum Kassenverträge im niedergelassenen Bereich nicht flexibler sind, und erklärt, warum die Ausbildung für Mediziner und Pflegende in die falsche Richtung geht.
Wolfgang Bayer: "Beim RSG 2025 war ich stark involviert. Bei der Ausgestaltung des aktuellen Strukturplans 2030 bin ich nicht mehr direkt dabei. Die aktuelle Herausforderung ist groß: In Wahrheit kommen jetzt wieder über 100 Millionen Kostendämpfungsbedarf auf die Spitäler zu. Dabei braucht es neue Infrastruktur, der Großgeräteplan ist mit Wünschen nach MRT- und CT-Geräten rappelvoll, und wir haben das Thema der Da Vinci-OPs, die den Häusern modernes Arbeiten ermöglichen sollen. Und gleichzeitig erwartet man von den Gesundheitsdiensteanbietern, dass sie einsparen. Irgendwann geht sich das nicht mehr aus."
"Man darf die Versorgungsleistung nicht an Betten messen. Der medizinische Fortschritt hat das Zusammenspiel zwischen stationärem und ambulanten Bereich entschieden verändert. Einst umfangreiche Operationen werden heute minimalinvasiv durchgeführt und die Patienten gehen noch am gleichen oder nächsten Tag nach Hause. Diese medizinische Entwicklung verändert Prozesse, die zur Umschichtung von Mitteln und – das wesentlich knappere Gut – auch von Personal führen müssen. Das ist noch nicht passiert."
"Aufgaben, die bisher vom stationären Bereich erledigt wurden – wie beispielsweise die Nachsorge nach OPs – verlagern sich in den ambulanten Bereich. Viele Therapien, die vor zehn oder zwanzig Jahren eine stationäre Betreuung verlangt haben, können heute im niedergelassenen Bereich erfolgen. Dafür muss der ambulante Bereich aber fit gemacht werden. Dies ist der Bereich, der am unmittelbarsten in der Endversorgung des Großteils der Bevölkerung wirksam wird."
"Das ist unausweichlich. Aus meiner Sicht ist aber unklar, in welche Richtung der Wandel gehen soll. Brauchen wir noch den klassischen Einzelkämpfer? Wenn ja: Funktioniert das Konzept überhaupt noch? Unsere traditionellen Landärzte haben und hatten das Wissen, das es braucht, um eine Einzelordination zu bespielen. Junge Mediziner werden heute aber anders ausgebildet. Sie sind ein anderes Arbeiten gewohnt. Der klassische Landarzt kennt seine Patienten und oft auch deren soziales Umfeld. Diese Art der Versorgung gibt es nicht mehr. Heute übernehmen die interdisziplinären Versorgungseinheiten in den Primärversorgungszentren diese Aufgaben, was ich für einen großen Fortschritt halte. Aber die PVZ können den Wandel nicht allein stemmen. Da ist noch viel zu tun."
"Ich kenne keine Kardinallösung. Aber ich würde manche Dinge einmal im Pilotprojekt probieren und schauen, was passiert. Es gibt die Idee, dass Wahlärzte auch Kassenleistungen erbringen sollen. Es existiert auch das umgekehrte Konzept, dass Kassenordinationen auch Wahlarztleistungen erbringen."
"Flexibilität. Beispiel: Wahlärzte erbringen eine vorgegebene Anzahl an Sprechstunden auf Kassenbasis. Wenn ein Kliniker nur eine halbe Anstellung hat und an vier Nachmittagen eine Wahlarztordination betreibt, dann soll er – ich nenne jetzt eine Hausnummer – 10 oder 20 Prozent der Patienten auf eCard behandeln. Warum lassen wir Klinikärzte nicht Teilzeit-Partner eines Primärversorgungszentrums werden? Ich hielte es für klug, wenn dieses PVZ im Umfeld des beschäftigenden Spitals besteht. Dies treibt die Verschränkung von ambulanter und stationärer Versorgung eine Windung weiter. Da könnte ich mir auch Fachärztepraxen auf Kasse vorstellen, in denen teilzeitbeschäftigte Klinikärzte arbeiten. Dann geht deren Arbeit für das solidarische System nicht verloren."
"Ich will keine Schwarzen Peter verteilen. Was mir fehlt, ist die Innovationskraft – Dinge durchzudenken, anzubieten und zu schauen, wie Ärzteschaft und Patienten drauf reagieren. Irgendwer hat einmal gesagt: Den Wandel wagen. Heute sind ja auch alle vom Erfolg der PVZ begeistert. Zuvor hat man das Ordinationsformat jahrelang dahindümpeln lassen."
"Es wollen deutlich mehr Mediziner Hausarzt sein als Unternehmer. Es ist komplex, als Einzelunternehmer mit Steuer, Banken, Personalführung und Investitionsplanung konfrontiert zu sein. Ich war selbst Geschäftsführer eines Primärversorgungszentrums und konnte eine Menge Beobachtungen machen: Das Mediziner-Team wäre am liebsten angestellt gewesen und hätte sich auf seine Aufgaben nach der klassischen Primary Health Care konzentriert. Und ich konnte viel, aber nicht alles abnehmen. Den überbordenden Wunsch nach der unternehmerischen Unabhängigkeit habe ich nicht beobachtet."
Ich formuliere es mal grob: Man kann ELGA sofort einstampfen, wenn das nicht kommt.
"Mit der Diagnosecodierung wird unser Gesundheitssystems ein Stück planbarer. Die Digitalisierung hilft uns in der Evaluierung von Maßnahmen: Was ist gescheit und was ist nicht gescheit? Vor knapp 20 Jahren wurden die ersten Machbarkeitsstudien zu ELGA gemacht. Und heute reden wir davon, wie wir verlässliche und umfassende Diagnosedaten erhalten. Das geht alles viel zu langsam."
"Es muss sich für den Gesundheitsdiensteanwender, den berühmten GDA, lohnen, in ELGA hineinzuschauen. Das heißt, er soll nicht nur die Daten finden, die er braucht, sondern er muss sie auch ohne großen Aufwand nutzen können. Ohne deutlich gesteigerte Bedienungsfreundlichkeit wird auch ein befülltes ELGA seinen Zweck verfehlen. Dass die Ärzte ihre 20 Jahre alte Ordinationssoftware modernisieren werden müssen, das steht auf einem anderen Blatt."
"Da hätte ich einige Ideen …"
"Die zugespitzte Spezialisierung im Ärztestudium und die Akademisierung im Pflegebereich lotsen den beruflichen Nachwuchs an die falschen Stellen. Im Ärztebereich haben wir ab einer ganz frühen Studienphase eine Facharztausbildung, die lange dauert und nur einen ganz schmalen Versorgungsbereich abdeckt wie z. B. verschiedene chirurgische Fächer oder Augen. Der allgemeine Mediziner, der eine schnelle und unmittelbare Wirksamkeit in der primären Versorgung aufweist, wurde dabei vernachlässigt. Statusmäßig war und ist der Allgemeinmediziner lange der Handwerker in einer Blase aus lauter Spezialisten. Heute haben wir das Problem, dass wir keine Leute für die Ambulanzen und Hausarztordinationen finden, weil der Bereich in der Ausbildung zwar vorkommt, aber die Studierenden auf die vergleichsweise weniger flächenversorgungswirksamen Fächer kanalisiert werden. Diese wirken mit den ganzen technischen Möglichkeiten einfach cooler. Es gibt dadurch zu wenig Berührungspunkte mit der Alltags-Praxis. Im Pflegebereich ist es das Gleiche. Wir akademisieren die bisherigen Diplomkräfte mit dem Effekt, dass jetzt vier bis fünf unterschiedliche Berufsgruppen an einem Menschen arbeiten, um den sich vorher zwei bis drei Menschen gekümmert haben. Am Ende des Tages stellt sich die Frage, wer die konkrete Arbeit macht? Ich brauche nicht lauter Chefs. Ich brauche Leute in der Pflege, die anpacken. In Oberösterreich wurde das erkannt. Da sind die Diplom-Lehrgänge parallel zur FH-Ausbildung wieder offen. Aus meiner Sicht sind wir im Bereich der Ausbildung in den letzten Jahren in die falsche Richtung gesegelt."
"Wir verkomplizieren unnötig das System. Ich merke in den Budgetgesprächen mit den oberösterreichischen Stakeholdern, dass die Kosten steigen, die personelle Ausstattung wächst –, wenn auch in weit geringerem Ausmaß –, aber die Leistung im besten Fall stagniert. Oft nimmt sie ab. Das zeigen die Vergleiche, die nach LKF-Punkten messen."
"Die Prozesse in den Kliniken sind nicht effizient auf den Patienten ausgerichtet. Wir benötigen heute hohe Arbeitskapazitäten aufgrund der extrem differenzierten Arbeitsteilung, gesetzlichen Vorgaben und zum Teil der übertriebenen Risikoabsicherung. Dazu kommt eine Arbeitsverdichtung, die die Belastung des Einzelnen deutlich gesteigert hat. Die personelle Organisation hat auf die neuen Arbeitsabläufe kaum reagiert."
"Der Umschlag in den Kliniken ist heute deutlich höher als vor zwanzig Jahren. Heute gibt es pro Patienten jeden zweiten Tag Aufnahme und Entlassung. Früher war dies erst jeden dritten oder vierten Tag notwendig. Das ist das Thema. Können die Pflegenden tatsächlich 40 Stunden durcharbeiten, wenn dies deutlich mehr Einsatz ohne Ruhepausen verlangt, als dies noch vor zwanzig Jahren der Fall war? Da ist es keine schlechte Idee, über eine Viertage-Woche in der Pflege zu reden, um den Beruf attraktiv zu halten."
"Das gilt es auszuprobieren. Aber Attraktivierung eines Berufes ist nicht nur mit Geld zu erreichen. Ich glaube, dass nur wenige Pflegende ein Problem haben, Dienste in vier mal zehn Stunden-Einheiten zu leisten, wenn sie dafür garantierte drei freie Tage pro Woche haben."
"Das ist eine Frage der Intensität: Sind Abläufe und Aufgaben so organisiert, dass in 32 Stunden zu schaffen ist, was vorher in 40 geleistet wurde? Ohne es genau untersucht zu haben: Ich zweifle an einem derart hohen Produktivitätsschub. Dies würde in Folge bedeuten, dass wir bei einer 32-Stunden-Woche unseren Personalbedarf noch einmal nach oben schrauben müssten. Das halte ich für kontraproduktiv. Sicher ist: Arbeitsbedingungen müssen so verändert werden, damit die Menschen in der Zeit, in der sie arbeiten, auch Freude haben. Und das müssen wir wieder sicherstellen."
"Geld ist nicht das einzige und ausschlaggebende Argument für eine Berufswahl. Pflegende kommen mit Nachtdienst und anderen Zuschlägen durchaus auf ein nennenswertes Entgelt. Aber es gibt sehr irritierende Nebengeräusche. Aus meinem persönlichen Umfeld höre ich immer wieder die Klage, dass es ein großes Problem sei, dass eine geleistete Überstunde auch ausbezahlt werde. Als wirklich zerstörend wird aber das Problem der ungeplanten Dienste empfunden. Das Thema hat seit der Pandemie die bis dahin übliche Dimension der kollegialen Hilfe gesprengt. Die ständige Notwendigkeit, am nächsten Tag oder am Wochenende für eine Kollegin einzuspringen, vergällt das persönliche Lebensgefühl. Ich höre von den Pflegenden, dass dies der Hauptgrund sei, warum der Beruf so belastend geworden ist. Je verlässlicher der Dienstplan ist, desto zufriedener sind die Leute."