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Künstliche Intelligenz zur Unterstützung von medizinischen Entscheidungen, elektronische Patienten-Akten, Gesundheits-Apps: Immer mehr digitale Technologien drängen in die Gesundheitsversorgung. Was bedeutet das für eine patientenzentrierte und evidenzbasierte Medizin (EbM)? Wo liegen Potenziale und Herausforderungen, auch im Bereich der Methodik? Diese und weitere Fragen wurden auf dem diesjährigen EbM-Kongress in Berlin diskutiert.
20 Jahre EbM-Kongress: Für das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) war das kein Anlass für nostalgisches Schwelgen in der Vergangenheit – vielmehr ging der Blick weit nach vorne. Unter dem Kongress-Motto „EbM und digitale Transformation in der Medizin“ widmeten sich die Veranstaltungen den aktuellen und bevorstehenden Veränderungen im Gesundheitssystem durch die Möglichkeiten der Digitalisierung. Ein Thema, das offensichtlich viele umtreibt: Darauf lassen die knapp 500 Besucherinnen und Besucher des Kongresses schließen.
Im ersten Hauptvortrag stellte Benedikt Brors vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg Ansätze für personalisierte onkologische Therapieempfehlungen auf der Basis genetischer Analysen vor. Dazu läuft derzeit am NCT die MASTER-Studie: Für ausgewählte Patientengruppen werden die im Tumormaterial gefundenen genetischen Veränderungen mit Zielstrukturen zugelassener Wirkstoffe verglichen und daraus Therapieansätze abgeleitet. Allerdings werden die Arzneimittel in der Regel außerhalb der zugelassenen Indikationen angewendet, systematische Auswertungen des Therapieerfolgs stehen ebenfalls noch aus. Auch erfolgen in der MASTER-Studie keine randomisierten Vergleiche, etwa mit „best supportive care“.
Christiane Woopen von der Universität Köln beleuchtete in ihrem Vortrag die ethischen Aspekte der digitalen Transformation. So hat der europäische Ethikrat, dem Woopen vorsitzt, 2018 in seiner Stellungnahme zum Einsatz künstlicher Intelligenz gefordert, dass die Digitalisierung in allen Bereichen der Gesellschaft grundlegende Prinzipien wie Menschenwürde, Patientenautonomie und Datenschutz berücksichtigen muss. Im sensiblen Bereich der Gesundheitsversorgung muss das nach Woopen im besonderen Maß gelten.
Grundlegende Unterschiede zwischen den bewährten Prinzipien der EbM und den Heilsversprechen von „Big Data“, also der Analyse großer Datenmengen, skizzierte Gerd Antes, ehemaliger Direktor von Cochrane Deutschland, im Gespräch mit der österreichischen Journalistin Andrea Fried. EbM bevorzugt prospektive Daten, während „Big Data“ sich auf retrospektive Analysen stützt. Auch werde oft vergessen, dass ohne zugrundeliegende Theorie die Datenflut bedeutungslos bleiben muss, denn mit bloßen Korrelationen ließen sich keine validen Kausalzusammenhänge ableiten. Antes plädierte für eine Technologiefolgen-Abschätzung im Hinblick auf Nutzen, Risiken und Kosten – allerdings findet bisher keine konsequente Qualitätsbewertung von digitalen Technologien in der Gesundheitsversorgung statt.
Wie Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover ausführte, versprechen Gesundheits-Apps vielfältigen Nutzen. In einigen Fällen sind sie als Medizinprodukte einzustufen, wobei die genaue Abgrenzung häufig schwierig ist. Das Spektrum der Anwendungen ist sehr breit und reicht von einfacher Dokumentation oder Aufbewahrung von Gesundheitsdaten bis hin zu Diagnose und Therapiesteuerung. Allerdings ist die Studienlage für Gesundheits-Apps derzeit noch äußerst dünn. Das müsse sich ändern, wenn die mobilen Anwendungen zukünftig auf Dauer in der Gesundheitsversorgung eingesetzt werden sollen und dann auch eine Nutzenbewertung nötig werde. Ein mögliches Framework zur Bewertung von e-Health-Anwendungen hat das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) im Dezember 2018 veröffentlicht.
John Ioannidis von der Stanford University analysierte in seiner Keynote zum Abschluss des Kongresses die vermeintlichen Verheißungen der Präzisionsmedizin im Hinblick auf maßgeschneiderte Therapien. Allerdings sei vieles davon Hype und viele der vermeintlichen Innovationen mit Analysen großer Datenmengen spielten sich außerhalb des Publikationssystems mit Peer-Review-Verfahren ab. Damit entzögen sie sich der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle. Dass Datenauswertungen für immer kleinere Gruppen zwangsläufig zu einer besseren Therapie führen, bezweifelte Ioannidis mit Blick auf systematische Untersuchungen zur Effektmodifikation durch geschlechtsspezifische Unterschiede. Auch würden Studien zur Therapiesteuerung anhand von genetischen Biomarkern derzeit hauptsächlich als nicht-randomisierte Untersuchungen durchgeführt, was verlässliche Schlussfolgerungen erschwert. Und nicht alle Arzneimittel, die anhand von genetischen Informationen entwickelt wurden, führen tatsächlich zu großen Verbesserungen für Patientinnen und Patienten.
Das Hauptthema des Kongresses und andere EbM-relevante Fragestellungen wurden in weiteren Vorträgen, Symposien und Workshops diskutiert. Flankiert wurde der Kongress durch das ZEFQ-Symposium, das die Schnittstelle von Evidenz und Qualitäts- und Risikomanagement beleuchtete. Rund 30 Studierende der Gesundheitsberufe nutzten im Vorprogramm den interprofessionellen Tag rund um Literaturrecherche und Evidenzbewertung, der in Kooperation mit dem Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) stattfand. Am letzten Kongresstag richtete der Fachbereich Patienteninformation und -beteiligung gemeinsam mit dem Arbeitskreis Frauengesundheit einen Fachtag „Informierte Verhütung“ mit rund 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus.
Die Mitgliederversammlung des DNEbM wählte Gerd Antes zum Ehrenmitglied und würdigte damit seine besonderen Verdienste um den Verein und die Etablierung der evidenzbasierten Medizin in Deutschland. Der David-Sackett-Preis ging an eine Arbeitsgruppe um Birte Berger-Höger von der Universität Hamburg für das Projekt „Spezialisierte Pflegefachkräfte zur Unterstützung partizipativer Entscheidungsfindung in der Onkologie“. Der diesjährige Journalistenpreis wurde an zwei Beiträge verliehen, die sich der dubiosen Industrie der Raubverlage widmeten und damit ein Thema in die Öffentlichkeit hoben, das der Wissenschaft enormen Schaden zufügt. Der Preis wurde geteilt: Ausgezeichnet wurden sowohl der WDR-Fernsehbeitrag „Betrug statt Spitzenforschung – Wenn Wissenschaftler schummeln“ von Peter Onneken und Daniele Jörg als auch der Beitrag „Das Scheingeschäft“, der von einem Autorenteam um Till Krause im Magazin der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde.
Im kommenden Jahr wird der EbM-Kongress zum ersten Mal in seiner Geschichte in der Schweiz stattfinden: Vom 13. bis 15. Februar 2020 soll es in Basel um die Herausforderung gehen, wie sich bessere Evidenz schaffen lässt.
Quelle: QUALITAS 02/2019, Schaffler Verlag