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13. Mai 2021 | Alexandra Keller
Kerzenlicht im Dunkel
Kerzenlicht im Dunkel

Am 8. Jänner 2021 schrammte das europäische Stromnetz an einem Blackout vorbei. Auf die verheerende Kettenreaktion eines länger andauernden, flächendeckenden Stromausfalles ist der Gesundheitssektor nicht vorbereitet.

„Ab dem zweiten Tag ist keine Operation mehr möglich, weil keine OP-Kleidung mehr zugeliefert wird. Ab dem zweiten Tag ist auch keine Reinigung mehr möglich, weil die Utensilien täglich aufbereitet werden. Rasch sind nicht mehr genügend Infusionen verfügbar, weil sie aus Deutschland angeliefert werden und es nicht mehr möglich ist, sie selbst zu produzieren. Der Küchenbereich ist gar nicht so schlecht aufgestellt, man würde rund eine Woche mit den Lebensmitteln auskommen. Doch ist offen, ob die Speisen überhaupt zubereitet werden könnten“, hält Herbert Saurugg in einem ersten, unvollständigen Befund zur Blackout-Vorbereitungslage eines österreichischen 700 Betten-Krankenhauses fest. Saurugg ist Blackout-Experte und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge. Er könnte lange weiterreden und in einem Gänsehaut verursachenden Stakkato aufzeigen, welche gigantischen Herausforderungen das Krankenhaus schon in den ersten Tagen meistern müsste. Dann, wenn plötzlich der Strom ausgeht und ein Blackout die gewohnten Abläufe so radikal wie brutal stoppt. 

 

Nicht nur Fiktion 

In entsprechender Radikalität und dramatischer Brutalität hatte beispielsweise Bestseller-Autor Marc Elsberg die Folgen der plötzlichen Stromlosigkeit in den Roman Blackout – Morgen ist es zu spät gegossen und dazu festgehalten: „Unsere moderne Gesellschaft ist komplett abhängig davon, dass all diese Systeme, die im Hintergrund längst völlig automatisiert ablaufen, reibungslos funktionieren. Tun sie das nicht, stürzen wir binnen kürzester Zeit zurück ins Mittelalter. Das finde ich eine beängstigende Vorstellung.“ 

Er ist nicht der einzige. Bei der eingangs von Saurugg präsentierten Abfolge handelt es sich um den ganz konkreten Blick in ein österreichisches Krankenhaus, das der Experte im Hinblick auf einen Blackout, also einen länger andauernden, flächendeckenden Stromausfall, begleitet. Zu Beginn der Zusammenarbeit waren die Spitalsverantwortlichen noch davon überzeugt, recht gut auf diese Krisensituation vorbereitet zu sein – allein, weil die Notstromanlage fast das ganze Krankenhaus für 72 Stunden versorgen könnte. Notstrom scheint der erste Gedanke zu sein, wenn es um einen Stromausfall geht. So betont auch Evelyn Kölldorfer-Leitgeb, Generaldirektorin des Wiener Gesundheitsverbundes, auf die Frage, wie lange die Versorgung respektive Notfallversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten werden könnte: „Abhängig vom jeweiligen Tankvolumen der Notstromanlagen schwankt dieser Bereich zwischen mindestens 24 Stunden bis maximal 72 Stunden.“ Wie die Generaldirektorin des größten Spitalsbetreibers Österreichs so betont auch der Verwaltungsdirektor des Landeskrankenhauses Feldkirch, Harald Maikisch, den Ansprüchen der diesbezüglichen gesetzlichen Vorgaben vollinhaltlich zu entsprechen. Allerdings: „Die tatsächlichen Anforderungen einer Blackout-Versorgungsicherheit übersteigen diese Vorschriften besonders in Bezug auf die Ausfallsdauer deutlich. Um hier eine längere Ausfallssicherheit gewährleisten zu können, bedarf es weitreichender und anspruchsvoller Maßnahmen sowie großer Investitionen. Wir bereiten uns schon seit dem Jahr 2016 intensiv mit vielen Maßnahmen und auch Investitionen auf ein allfälliges Blackout-Szenario vor.“ Derzeit könnte die Notfallversorgung im Vorarlberger Haus „normgerecht“ wenige Tage garantiert werden, mindestens neun Tage sind das Ziel.

 

14 Krisentage 

„Sie setzen Maßnahmen, das ist schon einmal gut, um länger durchhalten zu können. Doch liegt der Hund im Detail begraben“, sagt Saurugg, der ganz grundsätzlich dafür plädiert, dass sich Krankenhäuser auf 14 derartige Krisentage einstellen müssten. Mit allem Drum und Dran und im Wissen, dass Spitäler auch die Vorsorge-Mängel im rasch auf Rudimentäres zurückgeworfenen Pflege- oder im niedergelassenen Bereich kompensieren müssten. „Mit 14 Tagen habe ich einen Puffer. Wenn ich nach ein paar Tagen sehe, dass es noch länger dauert, kann ich den Betrieb auf das Lebensnotwendige herunterfahren und drei, vielleicht vier Wochen überstehen. Wenn ich aber schon nach drei Tagen am Ende bin, habe ich keine Möglichkeit mehr, zu reagieren“, animiert Saurugg dazu, den Blackout-Blick zu erweitern. Er sagt: „Die aktuelle öffentliche Kommunikation, dass Krankenhäuser gut vorbereitet sind, weil sie über eine eigene Notstromversorgung verfügen, verschärft die Problematik. Eine mehrtägige Notstromversorgung reicht jedoch bei Weitem nicht, um die weitreichenden und länger andauernden Folgen eines Blackouts bewältigen zu können.“ Den Verantwortlichen des 700-Betten-Hauses hielt er die weitreichenden Folgen vor Augen. Saurugg erinnert sich: „Nach einer Stunde Kickoff hat die Klinikleitung erkannt, dass sie nicht vorbereitet sind.“ Diese Erkenntnis passierte noch, bevor die Corona-Pandemie dem Gesundheitswesen Grenzen aufzeigte, die bis dato undenkbar gewesen waren. Im Juni 2020 führte Saurugg ein Gespräch mit dem Verwaltungsdirektor des Krankenhauses: „Er sagte, er habe geglaubt, dass ich im Zusammenhang mit einem Blackout ein bissl dick auftragen würde. Im Juni meinte er: Sie haben völlig Recht. Im Ernstfall sind wir total auf uns alleine gestellt.“ Total alleine. Ohne Lieferungen von außen etwa, weil Tankstellen nicht funktionieren und Lieferketten für Medikamente, medizinisches Zubehör oder Lebensmittel jäh unterbrochen werden. Ohne Kommunikation nach außen, weil ohne Strom binnen kürzester Zeit die Telekommunikation zusammenbricht und die Rufweite die Kommunikationsmöglichkeiten bestimmt. Ohne das nötige Personal, weil der öffentliche Verkehr stillsteht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielfach keine Chance haben, in die Klinik zu kommen und möglicherweise selbst damit beschäftigt sind, mit dem stromlosen Chaos zurecht zu kommen. Das ist – ganz grob und ohne den Stillstand bis hin zu den Krankenbetten zu deklinieren – die Ausgangsposition, der sich ein Krankenhaus im Fall eines Blackouts stellen muss, respektive stellen müsste. Saurugg: „Das Thema Blackout wird völlig unterschätzt und nicht verstanden. Das Chaos wird derart schlimm, dass man es sich nicht vorstellen kann.“ 

 

Nicht steuerbare Quellen 

Herbert Saurugg kann es sich vorstellen. In gewisser Weise ist das Teil seines Jobprofils, beschäftigt sich der ehemalige Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheeres doch seit 2012 intensiv mit den Folgen der steigenden Vernetzung und der zunehmenden Komplexität der europäischen Stromnetze, deren Wankelmut mehr als eine Laune ist. 

Die Gefahr ergibt sich unter anderem daraus, dass mit der Konzentration auf erneuerbare Energiequellen die Stromerzeugung zunehmend dezentralisiert wurde und weiter wird. Konventionelle, in ihren Kapazitäten leicht steuerbare Kraftwerke – egal ob mit Kohle, Gas oder Atomkraft betrieben – werden mit den Klimazielen vor Augen durch kaum bis gar nicht steuerbare Quellen, wie Wind oder Sonne, ersetzt. Die in den vergangenen Jahren massiv ausgebauten deutschen Windkraft- und Photovoltaikanlagen etwa haben eine enorme Energie-Power, wenn beide Elemente in ihrem Element sind. Sind sie das in extremer Form, wird die dabei produzierte Überschussenergie beispielsweise dafür genutzt, Wasser in die Speicher der Tiroler Wasserkraftwerke zu pumpen, die dann wie gigantische Batterien funktionieren. Sind sie das nicht und kommt es im schlimmsten Fall zu einer sogenannten Dunkelflaute (kein Wind, keine Sonne), hat das europäische Netz ein gigantisches Problem. Im Stromnetz selbst, das einem fragilen Spinnennetz gleich ganz Europa überzieht und mit den bahnbrechenden Veränderungen der Quellen rein technisch noch nicht mithält, muss jedoch auf Teufel komm raus die Frequenz gehalten werden. Diese 50 Hertz verbinden alle durch das Netz verbundenen Länder, und ist die Stabilität der Frequenz bedroht, müssen alle Stromerzeuger zusammenarbeiten, um einen Frequenzeinbruch, der zum Zusammenbruch und damit zum Blackout führen kann, zu verhindern. Im Ernstfall werden Kraftwerke hochgefahren und auch die Wasserkraftwerke geben Vollgas. Immer öfter müssen sie das tun. Waren im Jahr 2011 beispielsweise nur zwei Eingriffe bei Kraftwerken nötig, um einen Frequenzabfall zu verhindern, so ist das im Jahr 2018 an 301 Tagen unumgänglich geworden, wobei die Kosten dafür innerhalb von sieben Jahren allein in Österreich von zwei Millionen auf 346 Millionen Euro explodierten. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Stromnetz im Jahr 2018 nur an 64 Tagen per se funktionierte. Mittlerweile sind derartige Adjustierungen fast täglich nötig. Die Balance zu halten, ist zu einem sprichwörtlichen Balanceakt geworden. Am 8. Jänner 2021 wäre er fast nicht gelungen. „Europa ist an diesem Tag nur sehr knapp einem großflächigen Blackout entgangen“, erinnert sich Erich Entstrasser, Vorstandsvorsitzender der Tiroler Wasserkraft AG – Tiwag – an diesen zweiten Freitag im Jänner, an dem der Puls der europäischen Energie- und Netzverantwortlichen in höchst ungesunde Höhen schnellte. Ein Frequenzabfall in Südosteuropa führte zu einer Störung, die als bisher größte seit 2006 bezeichnet wurde. Dieser Beinahe-Blackout wurde in weiten Teilen der Bevölkerung wahrgenommen. Einer Mitte Februar 2021 veröffentlichten Umfrage des Online Research Institutes „Marketagent“ zufolge ist drei Viertel der Befragten bewusst, „dass ganz Europa und somit auch Österreich einen völligen Stromausfall in einem anderen europäischen Land zu spüren bekommen könnte. Trotzdem wäre die grundlegende Versorgung im Ernstfall in vielen Haushalten nicht gewährleistet. In puncto Vorbereitung besteht also noch Nachholbedarf“, betont Thomas Schwabl, Geschäftsführer von Marketagent.

 

Kollaps der gesamten Gesellschaft 

Vorbereitung und Nachholbedarf sind die Stichworte. Schon 2010, als das europäische Stromnetz noch relativ stabil war, hatte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eine umfangreiche Studie zur Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften am Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Stromversorgung veröffentlicht, in der es heißt: „Aufgrund der nahezu vollständigen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten würden sich die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls zu einer Schadenslage von besonderer Qualität summieren. Betroffen wären alle kritischen Infrastrukturen, und ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden.“ Der Inhalt der Studie ist schon fast zu real für ein einfaches, Strom als Selbstverständlichkeit aus der Steckdose beziehendes Gemüt, das durch den Inhalt der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020 weiter strapaziert wird, welche die Direktion für Sicherheitspolitik des österreichischen Verteidigungsministeriums mit dem Titel Sicher. Und morgen? veröffentlichte. Laut dieser Vorschau müsse „binnen der nächsten fünf Jahre“ mit dem „sehr realistischen Szenario“ eines Blackouts gerechnet werden. Das nächste Kapitel in der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020 ist übrigens dem Sicherheitsrisiko Pandemie gewidmet und gleich eingangs heißt es dort: „Pandemien haben extreme Auswirkungen auf Bevölkerungen, Staaten und die Wirtschaft. Gleichzeitig muss die Sicherheitsvorsorge im Bereich der Pandemierisiken als unzureichend beurteilt werden.“ 

BLACKOUT-SOFORTMASSNAHMEN

Der Leitfaden für Krankenhäuser auf Herbert Sauruggs Website umfasst 27 Seiten und liest sich teils wie ein Krimi. Beispielsweise wenn Saurugg festhält: „Durch den Notstrombetrieb wird das Krankenhaus zur ‚Lichtinsel‘, wodurch in der kalten und dunklen Jahreszeit rasch hilfesuchende Menschen angezogen werden. Ohne eine vorbereitete und rasch durchgeführte Personenstromlenkung könnte der geordnete Betrieb binnen weniger Stunden zum Erliegen kommen. Mit einer externen Unterstützung ist kaum zu rechnen.“ 

Zu den von ihm empfohlenen, erforderlichen BlackoutSofortmaßnahmen im Gesundheitswesen zählen: 

  • Erhöhung der persönlichen Selbstwirksamkeit des gesamten Personals im familiären Umfeld. Dazu ist eine autarke Selbstversorgungsfähigkeit mit lebenswichtigen Gütern (Wasser, Medikamente, Lebensmittel etc.) für zumindest zwei Wochen erforderlich.
  • Auseinandersetzung mit dem Szenario in allen Gesundheits- (praktische Ärzte, Apotheken, Dialyse, Heim- und Pflegedienste, Rettungsdienste etc.) und Krankenhausbereichen (Medizin, Pflege, Infrastruktur/Technik, Verwaltung, externe Dienstleister etc.).
  • Vorbereitung einer Personenstromlenkung vor Krankenhäusern (Mitarbeiter, Menschen, die eine medizinische Hilfe benötigen, sonstige Hilfesuchende etc.), um möglichst lange einen Notbetrieb aufrechterhalten zu können. Dies erfordert die Zusammenarbeit mit der Gemeinde.
  • Vorbereitung einer katastrophenmedizinischen Versorgungsfähigkeit für zumindest zwei Wochen.
  • Vorbereitung einer Notversorgungsfähigkeit für das Personal und die Patienten (Verpflegung, Ruhemöglichkeiten, Bekleidung, Hygiene etc.).
  • Sicherstellung des raschen Wiederanlaufs der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Treibstoff während und nach dem Primärereignis.
  • Abstimmung mit den örtlichen Katastrophenschutzbehörden und Einsatzorganisationen sowie mit Nachbarkrankenhäusern.
  • Koordination der Vorbereitungen für eine Gesundheits(not)- versorgung auf Gemeinde- und Bezirksebene.
  • Erarbeitung einer nationalen Notverordnung, welche die unbedingt notwendigen Sicherheits- und Qualitätsstandards für den Blackout-Fall definiert.

Quelle: ÖKZ 03-04/2021 (Jahrgang 62), Springer-Verlag

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