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Begutachter unter Begut­achtung

4. August 2020 | Erika Pichler
Brille und Lupe
Brille und Lupe

Die Neufassung der EU-Medizinprodukteverordnung bringt nicht nur erhöhte Anforderungen an die Hersteller, sondern auch an die für die Zertifizierung von Medizinprodukten zuständigen Benannten Stellen. In Österreich durchläuft derzeit ein einziges Unternehmen das Bewerbungsverfahren als Prüfstelle. 

In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind aktuell 15 Benannte Stellen zur Konformitätsbewertung von Medizinprodukten tätig. Österreich verfügt seit einigen Jahren über keine solche Prüfstelle mehr, nachdem die beiden früheren – TÜV Austria in Wien und PMG an der TU Graz – ihre Tätigkeit einstellten. In dieses Vakuum vorzustoßen, hat sich das im Dezember 2018 gegründete Unternehmen QMD Services GmbH zum Ziel gesetzt. Die Tochtergesellschaft der Quality Austria – Trainings, Zertifizierungs und Begutachtungs GmbH beantragte vor gut einem Jahr beim Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Benennung als Konformitätsbewertungsstelle nach der neuen EU-Medizinprodukte-Verordnung[1] (MDR) als auch nach der In-vitro-Diagnostika-Verordnung[1] (IVDR). Die Antragstellung bedeutet in beiden Fällen, sich einem komplexen, möglicherweise mehrjährigen Bewerbungsverfahren zu unterziehen. Denn die beiden im Mai 2017 beschlossenen EU-Richtlinien sehen nicht nur schärfere Regelungen für die Zulassung von Produkten, sondern auch für die Zulassung von Benannten Stellen vor. Vor allem deren Auswahl, Anzahl und Kompetenz von Experten für alle Medizinprodukt-Gruppen wird laut QMD-Geschäftsführerin Anni Koubek im Bewerbungsverfahren ausführlich geprüft. 

 

Bewerbungsschritte 

Durch den coronabedingten Aufschub des Geltungsbeginns der MDR[2] sei der zeitliche Druck im Bewerbungsverfahren ein wenig abgemildert, sagt Koubek. Dennoch sei man angesichts der nächsten Deadlines am 26. Mai 2021 für die MDR und ein Jahr später für die IDVR gut beschäftigt. Der Bewerbungsablauf sei mit allen Einzelschritten und Zeiträumen exakt vorgegeben. „Wir haben einen Antrag gestellt. Daraufhin gibt es eine Vollständigkeitsprüfung, die durch die Nationalbehörde durchgeführt wird; dann einen Preliminary Assessment Report, bei dem die Unterlagen gesichtet werden, bevor sie weitergeleitet werden und ein Vorort-Termin vereinbart wird. Dann folgen die Nachbearbeitungen durch verschiedene CAPAs (Corrective and Preventive Actions – Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen, Anm.). Wir sind in laufender Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium, was für die einzelnen Schritte zu tun ist.“ 

Man könne an jeder Stelle dieses Verfahrens sehr lange „hängen bleiben“, sagt Koubek. „Es gibt keine Garantie darauf, dass man, nur weil man einen Schritt absolviert hat, der Benennung näher ist.“ Am längsten dauere laut den Erfahrungen anderer Unternehmen die Phase nach dem Abschluss der Vor-Ort-Inspektion. 

 

Schlüssel Fachpersonal 

Wie sehr haben sich durch die neue MDR die Anforderungen an Benannte Stellen geändert? Man habe zwei Verschärfungsschritte erlebt, sagt Koubek. Zum einen seien wegen Skandalen, wie etwa des PIP-Skandals um mangelhafte Brustimplantate, 2015 die sogenannten Joint Assessments eingeführt worden. Zuvor habe die jeweilige nationale Behörde die Benannten Stellen beaufsichtigt, wodurch es zu unterschiedlichen Interpretationen gekommen sei. „Es ist dann schnell klar geworden, dass man zwar die einzelnen Gesetzgebungen nicht sehr schnell ändern, dafür aber darauf achten kann, dass die Benannten Stellen einen sehr hohen Level haben. Das hat sich dann darin ausgedrückt, dass sehr hohe Anforderungen an die Ausstattung gestellt wurden.“ Darauf sei zurückzuführen, dass die damaligen beiden österreichischen Stellen sich aus diesem Markt zurückgezogen hätten.

Mit der Ausstattung einer Benannten Stelle sind vor allem die personellen Ressourcen gemeint, die laut Koubek nun sehr differenziert untergliederten Kompetenzanforderungen entsprechen müssen. Während früher eine Art Übersichtskompetenz in einem Feld meist als ausreichend gesehen worden sei, seien nun sehr exakt Kompetenzen – sogenannte Codes – bestimmten Experten zuzuordnen. 

„Das heißt, man muss für fast jedes Gerät eine Person haben, die es von der medizinischen Seite her beurteilen kann und Erfahrung mit solchen Geräten hat; eine zweite Person für die technische Seite und eine dritte für die Qualitätsmanagementsystem-Kompetenz. Es ist eine sehr, sehr hohe Herausforderung, diese Experten zu finden, zu qualifizieren und gut in den Bewertungsprozess einzuführen.“ Allein für die MDR wurden 71 Codes definiert, für die IVDR 80. 

 

Nachweis der Expertise 

Die Suche nach Experten ist derzeit – neben dem Ausarbeiten von Qualifizierungsmaßnahmen und dem Aufbau operativer Strukturen für künftige Zertifizierungen – die Hauptaufgabe, die das Unternehmen zu bewältigen hat. Die Fachleute müssten zwar erst zum Zeitpunkt der Benennung tatsächlich vorhanden, geschult und überprüft sein, sagt Raymond Nistor, der bei QMD Services für den klinischen Bereich verantwortlich ist. Man könne jedoch nur die Benennung für Codes beantragen, für die man bereits Experten namhaft machen könne. Einige wenige Codes habe man aus diesem Grund nicht eingereicht, zum Beispiel für den Dentalbereich.

Nistor führt die Interviews zur Auswahl der Experten zusammen mit der Operations-Chefin des Unternehmens durch. Eine Aufgabe, die er selbst als sehr herausfordernd beschreibt, da durch sie der eindeutige Nachweis der Qualifikation zu erbringen ist. „Wenn der Nachweis nicht glaubhaft und im ausreichenden Umfang dokumentiert werden kann, dann ist auch ein Herr Professor aus dem AKH nicht als klinischer MDR/IVDR-Experte zu benennen.“ Immerhin müsse die Auswahl der geeigneten Personen vor der Expertenkommission der EU verteidigt werden. Das Audit-Ergebnis basiere zu 50 Prozent auf der Kompetenz der Fachleute. „Daher nützt es nichts, wenn wir eine lange Liste von Experten vorweisen können, die aber nicht über die entsprechenden Nachweise verfügen.“

Ausgehend vom höheren Aufwand für die personelle Ausstattung Benannter Stellen ist naheliegend, dass die Preise für Medizinprodukte, in deren Entwicklungskosten schon derzeit zu etwa einem Drittel Kosten für Zertifizierung und Zulassung einfließen, künftig steigen könnten. Dieses Prinzip wird aus Koubeks Sicht zwar nicht eins zu eins gelten, da in bestimmten Bereichen auch Einsparungen denkbar seien. Durch die strengeren Richtlinien könnte sich zum Beispiel der europäische Markt bei manchen Produkten verengen, was für die Hersteller in bestimmten Bereichen weniger Konkurrenz bedeuten würde. Mit Sicherheit werden sich laut Koubek jedoch zwei Faktoren auf die künftigen Preise auswirken. Zum einen seien höhere Kosten für die Zertifizierung allein schon wegen des Zeitaufwandes zu veranschlagen, der in den Regularien für jede einzelne Etappe des Verfahrens fixiert sei. Vor allem aber könnten sich auf den Preis jene Verschärfungen der neuen MDR auswirken, die den vermehrten Nachweis klinischer Daten im Sinne der Patientensicherheit und des klinischen Nutzens erforderlich machen. 

Raymond Nistor,<br>Services für den klinischen Bereich, <br>QMD Services
Raymond Nistor, QMD
Da wird bei einigen Herstellern ein Nachschärfen ihrer Entwicklungsprozesse notwendig sein, das zu massiven Preissteigerungen führen kann.

Raymond Nistor,
Services für den klinischen Bereich, 
QMD Services

Mögliche Preissteigerungen Für Nistor, der bis vor einem Jahr noch in einem Medizinprodukte-Konzern selbst für die Patientensicherheit und für die Anpassung von Prozessen an die künftige MDR zuständig war, sind unter dem Kostenaspekt zwei Entwicklungen denkbar. „Erstens machen die meisten Hersteller eine Analyse ihres europäischen Marktes. Produkte, die keine hohen Erträge bringen, werden da oft einfach gestrichen, weil die Kosten für klinische Evidenz und Nachweise, die nun gefordert werden, sehr hoch sind.“ Zweitens seien auch für die Produkte, die auf dem europäischen Markt bleiben, natürlich klinische Studien oder zusätzliche Untersuchungen im Rahmen des Post-Market-Surveillance-Prozesses erforderlich. „Es ist kein Geheimnis“, sagt Nistor, „dass für ein Klasse-2- oder Klasse-3-Produkt, das gut am Markt etabliert ist im chirurgischen Bereich, eine klinische Studie zwischen drei und fünf Millionen Euro kosten kann. Das wird sich natürlich auch auf die Preise auswirken.“

 

Anmerkungen: 

  1. Verordnungen MDR (EU) 2017/745 und IVDR (EU) 2017/746.
  2. Die ursprünglich beschlossene dreijährige Übergangsfrist ab Mai 2017 wurde um ein Jahr verlängert, um Versorgungsengpässe in der Akutphase der Covid-19-Pandemie zu vermeiden. Die Verordnung über Medizinprodukte (MDR) wird demgemäß ab 26. Mai 2021 uneingeschränkt gültig werden, die Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IDVR) wie geplant ab 26. Mai 2022.

 

Quelle: ÖKZ EXTRA, 61.JG (2020) MedTech & MEDICA, Springer-Verlag