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Das Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck ist so etwas wie ein Silicon Valley für forensische Genomik. Mit seinen DNA-Analysen und der Entwicklung neuer Methoden steht Molekulargenetiker Walther Parson regelmäßig im globalen Rampenlicht. Erst Anfang 2021 wieder, als ein zu Unrecht ins Wanken geratenes Dogma bestätigt werden konnte. Mit erheblichen Auswirkungen auf die kriminalistische Spurenauswertung.
Es geht um die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit. Dieser Satzfolge wohnt eine Dramaturgie inne, die jeder Fan von Krimis liebt. Weil die Suche nach der Wahrheit das prickelnde Gaudium dieser Fangemeinde ist und die Helden der Erzählungen – ob gut oder böse – die Spannung bis zum erlösenden Ende aufrechterhalten.
„Verbrechen und deren Klärung haben Menschen wohl schon immer interessiert. Technische Aspekte wirken dabei wie Katalysatoren, weil die Varianten der Beweisführung durch neue Technologien bereichert werden“, weiß Walther Parson. In den Krimis der 1980er- und der frühen 1990er-Jahre waren es noch Blutgruppen, die in vielen Fällen als belastende Beweise herhalten mussten.
„Kommissar DNA hat neue Spielvarianten gebracht. Regisseure ließen sich von Molekularbiologen beraten und setzten die DNA-Technologie aufwendig in Szene. Die Zuschauerin ist plötzlich auch mitten im Laboralltag, der manchmal so spektakulär dargestellt wird, dass Menschen schon allein deshalb den Beruf ergreifen möchten“, so Parson weiter. Dieser CSI-Effekt hat der forensischen Genetik viel Aufmerksamkeit beschert. Und Walther Parson ist mittendrin.
Parson leitet die Fachbereiche Forensische Genomik und High Throughput DNA Databasing Unit am Institut für Gerichtliche Medizin in Innsbruck, wo auch der Fachbereich Forensische Genetik und Spurenkunde angesiedelt ist. Das Institut genießt Weltruf. So gut wie immer, wenn es knifflig wird, wenn die kriminalistische Spurensuche aussichtslos scheint, werden die Innsbrucker Experten zu Rate gezogen. Für die weltweite Wahrheitssuche ist das Institut wie ein Magnet.
Erst Anfang 2021 blickten Gerichtsmediziner, Kommissare, Strafverfolgungsbehörden, Richter, Ankläger und Verteidiger der ganzen Welt auf Innsbruck. Denn hier wurde der Kreis der potenziell Verdächtigen wieder massiv eingeengt, nachdem er von US-amerikanischen Forschern im Jahr 2018 massiv erweitert worden war.
Corpus Delicti dieses jüngsten wissenschaftlichen Krimis war die mitochondriale DNA. Mitochondriale DNA unterscheidet sich von der Kern-DNA dadurch, dass sie viel kürzer ist und in viel höherer Kopienzahl in einer Zelle vorzukommt. Rund 1000 Kopien sind’s pro Zelle, während die Chromosomen im Zellkern nur jeweils doppelt vorkommen. Das ist auch an Tatorten der Clou. Während etwa in abgebrochenen Haaren so gut wie keine hochmolekulare Kern-DNA mehr enthalten ist, liefert die mitochondriale DNA üppige Informationen. Mit ihnen lassen sich zwar keine Personen zuordnen, wohl aber die Abstammungslinien bestimmen.
Dass das Genom der Mitochondrien nur von der Mutter vererbt wird, ist das Dogma, das absolut unerschütterlich war, bis US-amerikanische Forscher 2018 eine Studie veröffentlichten, laut der auch Väter an der Vererbung der mitochondrialen DNA beteiligt wären. Dass diese Studie in der forensischen Fachwelt einschlug wie eine Bombe, ist klar. Letztlich implodierte und verpuffte sie jedoch, weil Walther Parson und seine Kollegin von der Rechtsmedizin Freiburg (D), Sabine Lutz-Bonengel, nicht nur ihre Zweifel anmeldeten, sondern diese Zweifel auch im Rahmen einer wissenschaftlichen Kooperationsarbeit mit zwölf weiteren internationalen Instituten belegen konnten. Es ist ihnen gelungen, das Ergebnis der US-amerikanischen Studie auf eine Verwechslung im Zuge der Sequenzierung zurückzuführen. Und das Dogma wissenschaftlich zu untermauern. Ein für alle Mal.
Darum waren die Augen der forensischen Welt auf das Innsbrucker Institut gerichtet. Wieder einmal. Der Takt dieser Aufmerksamkeit ist extrem hoch. Etwa, weil am von Professor Richard Scheithauer geleiteten Institut schon unzählige Opfer von Katastrophen und Kriegen identifiziert werden konnten. Im Sommer 2020 beispielsweise einer von 43 im Jahr 2014 ermordeten mexikanischen Studenten, deren Tod die mexikanische Seele und mit ihr den Staat erschüttert hatte. Christian Alfonso Rodrigues heißt das Opfer, dem im Juni 2020 sein Name zurückgegeben wurde. Um zu trauern. Um anzuklagen. Das sind große Geschichten, die von Innsbruck aus um die Welt gehen. Weitere bahnen sich an.
Mit den Forschungen zur „DNA Phänotypisierung“ etwa, mit der die polizeiliche Fahndungsarbeit neuerlich revolutioniert werden könnte. Für schon klassisch gewordene DNA-Analysen werden zwei Proben – eine bekannte und eine unbekannte – verglichen, um Rückschlüsse zu ziehen. Nur eine unbekannte Tatortprobe ist die Grundlage für die DNA-Phänotypisierung. „Konkret geht die Forschung in Richtung Vorhersage von Aussehensmerkmalen, wie zum Beispiel Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe, der Vorhersage des Alters sowie der Vorhersage der geographischen Herkunft einer unbekannten Probe durch ihre DNA“, erklärt Walther Parson.
Ziel ist es, diese Eigenschaften aus einer unbekannten Tatortprobe möglichst genau ablesen und der Polizei sachdienliche und vor allem objektive Hinweise geben zu können, um den Spurenverursacher zu finden. „Dieses Projekt ist unser Hauptforschungsprojekt zurzeit“, sagt Parson. Es ist ein großes Projekt. Eines, bei dem Parson und sein Team die Nase vorn haben.
Das Forschungslabor hat aber auch oft schon im Rückblick manches zurecht oder gerade gerückt. Viele Kapazunder der Vergangenheit hat Parson dafür unter die Lupe genommen – Mozart beispielsweise, Ötzi oder Mitglieder der russischen Zarenfamilie. Der Fall Romanow hatte ihn inspiriert. 1994 war das. „Dies war eine der ersten Arbeiten, die DNA für die Identifikation verstorbener Personen verwendet hat. Es hat mich damals fasziniert, dass man historisch streitbare Fälle durch wissenschaftliche Fakten klären kann“, erklärt Parson eine frühe Triebfeder seiner Arbeit. Durch wissenschaftliche Fakten die Welt ein Stück weit zurecht zu rücken, Mörder zu überführen, Personen zu identifizieren und große Fragen zu beantworten, treibt ihn nach wie vor an. Parson jagt nicht todesmutig und trickreich den Mördern hinterher. Er überführt sie weit eleganter: mit Analysemethoden, die zum Zeitpunkt ihrer Anwendung zwar wichtig und für die Prozessführung der Ankläger entscheidend, für den Wissenschaftler aber schon Routine sind.
„Für uns ist spannend, wenn wir versuchen, neue Methoden zu etablieren. Daran arbeiten wir oft zwei, drei, fünf Jahre, bevor sie an die breite Öffentlichkeit kommen. Das Neuland ist das spannende, die Niederlagen, Fehlschläge und die freudigen Überraschungen. Das ist es, was mich an Wissenschaft immer fasziniert hat“, sagt er. Parson wurde 1966 in Innsbruck geboren, in dem Jahr also, in dem der genetische Code vollständig identifiziert und damit ein Meilenstein für die weitere Erforschung und Sequenzierung der DNA erreicht wurde, die in fast jedem Zellkern eines Lebewesens die Erbinformation speichert. Den Bauplan. Den biologischen Reisepass, der nicht nur die Identifikation jedes Menschen möglich macht, sondern bis zu einem gewissen Grad auch seinen Lebensweg aufzeigt. Und den seiner Ahnen. In 3,2 Milliarden Basenpaaren steckt unendlich viel Information. Nicht zuletzt jene, dass alle Menschen viel näher miteinander verwandt sind, als sie ahnen.
„Der Flüchtling, der zu uns ins Land kommt, ist evolutionsbiologisch nicht so weit von uns entfernt, wie manche es uns gerne einreden“, sagt Parson.
Die DNA überrascht. Ihre Doppelhelix gleicht mit den Basenpaaren einer geschwungenen Leiter. Sie zu erklimmen, sollte Walther Parsons Schicksal werden, und rasch sorgte er mit einer bahnbrechenden DNA-Analyse-Methode bei den Romanows für Furore. Neunzig Jahre nach dem Mord an der Zarenfamilie durch bolschewistische Revolutionäre war es dem Team auf Basis millimetergroßer Knochenstücke gelungen, zwei Zarenkinder zu identifizieren, die bis dato als vermisst gegolten hatten. Es war ein spektakuläres Entrée. Doch sollte es schließlich Schiller sein, der den Innsbrucker berühmt machte. Und das, obwohl es gar nicht Friedrich Schiller war, dessen Erbgut Parson zwischen 2006 und 2008 analysierte.
Die Szenerie, die Deutschland am Ende Kopf stehen und die Dichterstadt Weimar weinen ließ, kann durchaus mit den Ausgangslagen anderer großer Fragen verglichen werden, die im Innsbrucker Institut auf Grundlage kleinster DNA-Spuren beantwortet werden. Wer ist es? Wer war es? „Egal, ob die Proben von bekannten oder unbekannten Menschen stammen, messen wir ihnen bei der molekularbiologischen Untersuchung dieselbe hohe Bedeutung zu“, sagt Walther Parson. Er wahrt Sachlichkeit und Distanz, indem er die Proben leidenschaftslos und vorurteilsfrei untersucht. Auch Schiller. Seit seinem Tod im Jahr 1805 hatte ein Sturm und Drang um die irdischen Reste des deutschen Dramatikers geherrscht. Schiller teilte sich das enge Gewölbe im Weimarer Kirchhof mit zahlreichen anderen Verblichenen. Als das vermoderte Gewölbe 1826 in einer offenkundig chaotischen Aktion geräumt wurde, könnte des Dichters Schädel durchaus schon mit einem anderen verwechselt worden sein. Jedenfalls war der Totenkopf, den Johann Wolfgang von Goethe lange Zeit auf seinem Schreibtisch stehen hatte, nicht der des bewunderten Kollegen.
Die Zweifel an der Echtheit des dann in der Fürstengruft in Weimar ausgestellten Schädels nagten auch, weil ein zweites, ebenfalls als Schillerrest verehrtes Skelett aufgetaucht war. Das fast schon irrwitzig anmutende Drama, das seine Gebeine auslösten, hätte Schiller vielleicht gerne selbst geschrieben. Und seine Leser mit dem Ende überrascht. Das Ende wurde aber in Innsbruck verfasst, von Walther Parson, der damit beauftragt worden war, das zermürbende Rätsel zu lösen und den falschen Schiller zu überführen. Um den echten entsprechend ehren zu können. Es kam anders. Und das zu zweimal 100 Prozent. Keine der Proben stammte von Schiller. Weimar weinte. Und Parson wurde im deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel mit einer Aussage zitiert, die wie das erste Gebot seiner Zunft klingt:
Wissenschaft ist kein Wunschkonzert.
Quelle: ÖKZ 05/2021 (Jahrgang 62), Springer-Verlag