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Pandemien ent­wickeln sich ent­lang von Netz­werken

14. Januar 2022 | ÖKZ-Redaktion
Markus Sinnl, "PostDoc" am Institut für Produktions- und Logistikmanagement an der Johannes-Kepler-Universität Linz
Markus Sinnl, "PostDoc" am Institut für Produktions- und Logistikmanagement an der Johannes-Kepler-Universität Linz

Der 33-jährige Linzer Markus Sinnl arbeitet als „PostDoc“ am Institut für Produktions- und Logistikmanagement der JKU Linz.

Aktuell forscht der mehrfache Träger von Wissenschaftspreisen an einem KI-Projekt zur exakteren Vorhersage der Virenverbreitung in Netzwerken. Markus Sinnl erhielt im Sommer eine Förderung des Wissenschaftsfonds FWF in Höhe von 154.000 Euro.

 

Herr Sinnl, was haben Viren und Influencer gemeinsam?

Markus Sinnl: Beide arbeiten über Netzwerke. Es gibt etliche Vorarbeiten, die untersuchen, wie sich Nachrichten in Social Networks ausbreiten. Anhand dieser Modelle kann man feststellen, wie sich die Überzeugungskraft von Influencern bei den Verkaufszahlen ihrer beworbenen Produkte bemerkbar macht. Wenn diese Daten einmal vorliegen, kann ich hochrechnen, wie sich der Einfluss der Influencer in den Netzwerken bemerkbar macht. Dabei gibt es Regelmäßigkeiten, die Pro­gnosen über die künftige Verteilung erlauben.

 

Wo kommt die Pandemieforschung ins Spiel?

Wir untersuchen in unserem Forschungsprojekt, ob die Systematik in der Verbreitung von Informationen in sozialen Netzwerken auch für die Analyse der Virenausbreitung in einer Pandemie gilt.

 

Es gibt aber bereits zahlreiche Prognose-Tools für pandemische Ausbreitung …

Diese etablierten Modelle funktionieren in Großfeldbetrachtungen gut, in kleineren Samples sind sie aber fehlerhaft. Sie sagen zum Beispiel, eine infizierte Person steckt 1,5 andere Personen an. Damit verbreitet sich die Krankheit gleichmäßig in der Bevölkerung. In der Realität läuft es aber anders. Bisherige Studien berücksichtigen oft die soziale Organisation in Netzwerken nicht. Gesellschaftliche Kontakte sind nicht gleichmäßig verteilt. Freundeskreis, Arbeitskollegen, Schulklassen – Menschen sind in Netzwerken organisiert, und entlang dieser Netzwerke entwickelt sich die Pandemie – in ganz unregelmäßigen Ausformungen – ähnlich wie Nachrichten in sozialen Netzwerken.

 

Wird Ihr Forschungsprojekt Pandemie­prognosen treffsicherer machen?

Wir betreiben Grundlagenforschung. Wenn wir unseren Forschungsansatz untermauern können – wir stehen erst am Anfang –, dann können wir beitragen, die etablierten Methoden aussagekräftiger zu machen. Unsere Lösungsmethoden, die auf der Technik der ganzzahligen linearen Programmierung basieren, können beweisbar optimale Lösungen für die untersuchten Modelle finden. Man kann Empfehlungen ableiten – Maßnahmen wie Schulschließungen oder -öffnungen haben dann eine weitaus fundiertere und belegbarere Grundlage als bisher.

 

… nur beitragen?

Unser Ansatz ist von der Größe der untersuchbaren Netzwerke limitiert. In unserer Forschungsarbeit zu Influencern in sozialen Netzwerken konnten wir bis zu 30.000 Knoten berechnen. Das ist für eine österreichweite Modellierung zu wenig.

 

Was ist dann der Sinn Ihres Berechnungsmodells?

Wir können mit unseren Algorithmen die Trefferwahrscheinlichkeit großer Modelle validieren. Das heißt, wir berechnen anhand vorliegender Infektionsdaten die Verbreitung in überschaubaren Netzwerken und überprüfen, ob unsere Ergebnisse mit den allgemeinen Trends stimmig sind. Unsere Ergebnisse sind natürlich von der Qualität der vorliegenden Daten abhängig.

 

Haben Sie Zugang zu den benötigten Daten?

So weit sind wir noch nicht. Wir feilen noch an unseren Algorithmen. Aber der Erfolg unseres Projekts wird sicher damit zu tun haben, ob wir an realistische Daten herankommen.

 

Wie geht es einem jungen Analytics-Forscher in Österreichs Forschungslandschaft?

Jungforscher des universitären Mittelbaus sind allesamt auf der Jagd nach permanenten Anstellungen. Befristete Verträge beschreiben unseren Alltag. Das ist für die individuelle Lebensplanung nicht einfach. Man scannt permanent, wo im In- und Ausland Stellen frei oder ausgeschrieben werden.

 

Ist der Verbleibsdruck so hoch?

Es kommt darauf an, was man will. Ich liebe die Grundlagenforschung und die Lehre. Und im Forschungsbereich und in akademischen Institutionen sind Positionen limitiert. Ich würde mit Mathematik- und Machine Learning-Kenntnissen in der Wirtschaft wahrscheinlich deutlich mehr in deutlich festeren Arbeitsverhältnissen verdienen. Aber das steht nicht in meiner Lebensplanung. 

Quelle: ÖKZ 12/2021, 62. Jahrgang, Springer-Verlag.

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