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Das niederländische Gesundheitssystem verfügt in seiner Bevölkerung über ausgezeichnete Effizienz- und Zufriedenheitswerte. Der strukturelle Aufbau unterscheidet sich grundlegend vom österreichischen System.
Tulpen, Grachten und ein süßlicher Duft in der Luft – das sind nur einige der Klischees, die mit den Niederlanden assoziiert werden. Weniger plakativ ist die Tatsache, dass das Land der Windmühlen seit vielen Jahren in den internationalen Qualitäts- und Effizienz-Rankings der Gesundheitssysteme kontinuierlich im Spitzenfeld zu finden ist.
Die Bürgerinnen und Bürger des Königreichs genießen einen umfassenden und niederschwelligen Zugang zu medizinischer Versorgung und sind mit dieser auch in hohem Maße zufrieden. Bei einem volkswirtschaftlich ähnlich großen Aufwand für die Gesundheitsversorgung und durchaus vergleichbaren Ergebnissen unterscheidet sich der strukturelle Aufbau des niederländischen Gesundheitssystems vom österreichischen markant in einigen wesentlichen Punkten.
Gebäude mit drei Säulen
beschreibt ein Krankenversicherungssystem aus konkurrierenden Versicherungsgesellschaften, die den kurativen Bereich abdecken. Alle Niederländerinnen und Niederländer sind verpflichtet, eine Krankenversicherung abzuschließen. Die Versicherungsgesellschaften wiederum sind verpflichtet, jeden Bewerber und jede Bewerberin aufzunehmen. Niemand darf abgelehnt werden. Das Leistungspaket wird durch die Regierung festgelegt und umfasst allgemeinmedizinische und fachärztliche Versorgung, Medikamente, Heilmittel, therapeutische Leistungen und Hauskrankenpflege. Zusätzliche Leistungen, z.B. für Brillen oder zahnärztliche Versorgung, können über freiwillige Versicherungen abgedeckt werden, die in den Niederlanden einen relativ großen Anteil an den Gesundheitsausgaben ausmachen (6,8 %). Die Versicherungen wiederum verhandeln mit den Gesundheitsdienstleistern Preise und Qualitätslevel der Leistungen. Selbstbehalte von derzeit EUR 385,- sind von den Versicherten vor der erstmaligen Kostenübernahme durch die Versicherungen zu tragen. Für Entbindungen und pädiatrische Leistungen entfällt der Selbstbehalt. Trotz dieser Selbstbehalte liegen die privaten Zuzahlungen der Haushalte für Gesundheitsversorgung (der „Out-of-Pocket“-Anteil) in den Niederlanden infolge der weitreichenden Abdeckung durch das öffentliche System international gesehen auf sehr niedrigem Niveau.
ist das im Jahre 2015 reformierte Sozialversicherungssystem für die Langzeitpflege. Für das SV-System ist die jeweils regional dominierende Versicherung zuständig. In den Sektor der Langzeit-Betreuung, der die Alten- und Behindertenversorgung sowie Psychiatrie umfasst, investieren die Niederlande besonders viel – prozentuell an den Gesamtausgaben für Gesundheit gemessen genau doppelt so viel wie Österreich.
decken die Gemeinden aus Steuergeldern Public Health-Aufgaben wie Impfungen, Screeningprogramme und Gesundheitsförderung ab. Auch wenn die Prävention, wie in allen Gesundheitssystemen, nur einen kleinen Teil der Finanzmittel zugeteilt bekommt, geben die Niederlande dafür mehr aus als beinahe alle anderen Staaten der Europäischen Union.
Der niederländische Staat hat sich mit den letzten Reformen immer mehr von der direkten Kontrolle der Preise und Leistungen zurückgezogen. Er konzentriert sich zunehmend auf die Überwachung der Märkte, indem er den Wettbewerb der Versicherungen reguliert und das Leistungsniveau der Anbieter steuert. Die meisten Gesundheitseinrichtungen werden von privater Hand als non-profit-Unternehmen geführt. Damit setzen die Niederlande eine lange, zum Teil religiös bedingte Tradition von individueller, eigenverantwortlicher Initiative für die Gesundheitsversorgung fort. Im heutigen System werden diese privaten Einrichtungen zu einem sehr hohen Prozentsatz aus öffentlichen Geldern finanziert.
Auch Krankenhäuser sind in den Niederlanden non-profit-Unternehmen privater Organisationen, deren Leistungen über ein adaptiertes DRG-System („diagnosis-related groups“; pauschalisierendes Abrechnungssystem) abgegolten werden. Die Anzahl der niederländischen Krankenhäuser beträgt in etwa das Doppelte der österreichischen, was in Relation zur jeweiligen Bevölkerung der gleichen Dichte entspricht. Die Gesamtzahl der Krankenhausbetten ist jedoch deutlich geringer als in Österreich. Die Krankenhäuser sind durchschnittlich viel kleiner. Die Gesundheitsversorgung der niederländischen Bevölkerung erfolgt also mit weniger als der Hälfte der intramuralen Kapazitäten und einer entsprechend niedrigeren Krankenhaushäufigkeit als in Österreich. Dieses Faktum kommt auch in dem signifikant geringeren Finanzierungsbedarf für die stationäre Versorgung zum Ausdruck. Seit vielen Jahren ist es erklärtes Ziel der österreichischen Gesundheitspolitik, die Spitalslastigkeit des Systems zu senken. Im niederländischen Gesundheitssystem sind mehrere Ansatzpunkte für eine Annäherung an dieses Ziel wirksam und beispielgebend umgesetzt.
In erster Linie macht hier die starke Rolle der Primärversorgung durch verschiedene Professionen den großen Unterschied aus. Der Zugang zu stationärer Behandlung oder zu Spezialisten führt neben Hebammen und Zahnärzten ausschließlich über die niedergelassenen Allgemeinmediziner. Durch diese strikte Gatekeeping-Funktion gelingt es einerseits, unnötige stationäre Aufnahmen zu verhindern, andererseits die Position und Attraktivität der Allgemeinmedizin im System zu stärken. Dementsprechend ist auch ein höherer Anteil der praktizierenden Ärzte als Allgemeinmediziner tätig. Die Versicherten registrieren sich bei einem Allgemeinmediziner ihrer Wahl, der eine Registrierung nur aus bestimmten Gründen (z.B. Überlastung oder zu große Entfernung vom Wohnort) ablehnen kann. Allgemeinmediziner generieren ihr Einkommen aus einer Kombination von mehreren Verrechnungsmöglichkeiten, wie Kopfpauschalen, Leistungshonoraren oder Pauschalen für integrierte Versorgung.
Ärzte in Spezialfächern arbeiten größtenteils als selbstständige Partner ohne formale Hierarchie in Krankenhäusern und behandeln dort meist mit eigener Abrechnung stationäre, tagesklinische und ambulante Patienten, welche ihnen von Allgemeinmedizinern zugewiesen werden. In geringerem Umfang sind Spezialisten auch als Angestellte der Krankenhäuser oder in spezialisierten Behandlungszentren tätig.
Eine weitere Besonderheit des niederländischen Primärversorgungssektors ist die gehobene Stellung des Pflegeberufes. Ausgebildeten Pflegekräften steht ein weites Aufgabenfeld offen, sie sind als Selbstständige in ihrem Kompetenzbereich unter anderem befugt, Medikamente zu verschreiben oder Endoskopien durchzuführen. Die Langzeit- und Heimpflege, welche in den Niederlanden stark forciert wird, liegt weitgehend in der Verantwortung der Pflege. Arbeitsüberlastung und Personalmangel sind zwar auch in den Niederlanden ein aktuelles Thema, die attraktiven Tätigkeitsbereiche haben im letzten Jahrzehnt aber zu einem stetig steigenden Zulauf zu dieser Berufssparte geführt.
Neben der zentralen Funktion der Primärversorgung mag wohl auch die hohe Bevölkerungsdichte und das breit gestreute Netzwerk der Versorgungseinrichtungen dazu beitragen, dass sich das niederländische Gesundheitssystem durch seinen niederschwelligen Zugang zu Versorgungsleistungen und seine geringe Spitals- und Arztzentrierung auszeichnet. Nur 0,15 % der Bevölkerung erreichen mit dem Auto nicht die nächste Allgemeinmedizin-Praxis innerhalb von 10 Minuten.
Die Niederlande und Österreich wenden bei vergleichbarem Wohlstandsniveau einen nahezu identischen, international überdurchschnittlich hohen Anteil ihrer Wirtschaftsleistung für die medizinische Versorgung ihrer Bevölkerung auf. Die niederländische Regierung bittet ihre Bürgerinnen und Bürger dafür mehr über öffentliche Abgaben kollektiv zur Kasse, während Mitbürger in Österreich individuell tiefer in die private Tasche greifen müssen. Primärversorgung, Langzeitpflege und Prävention sind in den Niederlanden breit aufgestellt, dafür kommt das System mit viel weniger ärztlichem Personal und Krankenhausbetten aus. Letztlich kommen beide Wege zu Ergebnissen, die international gesehen im obersten Bereich der Rankings liegen. In der Statistik der vermeidbaren Todesfälle scheint sich die niederländische Fokussierung auf Primary Care und Prävention zwar positiv auszuwirken, in der jeweils hohen Lebenserwartung macht dies jedoch keinen Unterschied aus. Während der bisherigen COVID-19-Pandemie ging in beiden Ländern die Lebenserwartung um 0,7 Jahre zurück.
In einem Detail mögen sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Orientierungen doch sichtbar äußern: Seit 20 Jahren sind in den Niederlanden zwei Formen der Euthanasie unter strikten Bedingungen gesetzlich zugelassen, während in Österreich, teilweise wohl auch aus historischen Gründen, erst kürzlich ein Schritt in diese Richtung unternommen wurde.
OECD/European Observatory on Health Systems and Policies (2021), The Netherlands: Country Health Profile 2021, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/European. Observatory on Health Systems and Policies, Brussels.
Kroneman M, Boerma W, van den Berg M, Groenewegen P, de Jong J, van Ginneken E (2016). The Netherlands: health system review. Health Systems in Transition, 2016; 18(2):1–239.
OECD Health Statistics 2021.
Quelle: ÖKZ 6-7/2022, 63. Jahrgang, Springer-Verlag.