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„Das größte Problem in der Kommunikation ist die Illusion, sie habe stattgefunden.“ Es ist nicht bekannt, ob der irische Dramatiker GEORGE BERNARD SHAW, dem dieser Ausspruch zugeschrieben wird, ein Problem mit seinem Hausarzt hatte. Vielleicht wollte er bloß von seiner sozialen Phobie, unter der er zeitlebens litt, ablenken. Wie dem auch sei, so manche Kommunikation zwischen Arzt und Patient könnte auf das von SHAW aufs Korn genommene Dilemma hinauslaufen.*
George Bernard Shaw, Nobelpreisträger für Literatur, hatte knapp vor seinem Tod noch miterlebt, welches Aufsehen die 1949 von dem exzentrischen Mathematiker Claude E. Shannon veröffentlichte „Mathematical Theory of Communication“ erregte. Mit ihrer Hilfe konnten nicht nur militärische Funksignale entschlüsselt, sondern auch das störende Rauschen in den Telefonleitungen beseitigt werden. Shannon zerlegte die Datenmengen in binäre Einheiten und erfand so das Bit. Entkleidet von aller Mathematik, stellt sich sein Modell ganz einfach dar. Ein „Sender“ wählt eine aus Zeichen bestehende Botschaft aus und „enkodiert“ diese in Signale, die über einen „Kanal“ an einen „Empfänger“ übertragen werden. Dieser „dekodiert“ die empfangenen Signale, wobei er damit rechnen muss, dass sie durch Störquellen verzerrt werden können.
Was hier als Kommunikationstheorie bezeichnet wird, ist eine Theorie effizienter (aufwandarmer) und effektiver (störungsarmer) Signalübertragung. Das Sprachverständnis ist hier monologisch. Auf der einen Seite spricht jemand in ein Gerät hinein und auf der anderen wird eine Nachricht über eine entsprechende Einrichtung abgehört. Eine „Rückkopplung“ zum Sprecher ist nicht vorgesehen. Damit wird eine der drängendsten Fragen Shannons, wie etwa eine Lenkwaffe mit einem Flugzeug „kommunizieren“ solle, um es aufzuspüren, in einem Atemzug mit der Unwägbarkeit menschlicher Rede und Gegenrede in Verbindung gebracht. Immerhin, Shannon wehrte sich dagegen, seine mathematische Theorie auch auf zwischenmenschliche Kommunikation zu übertragen – vergebens.
Von der Welle des technischen Fortschritts getragen, wurden Lebewesen und Maschine gleichgesetzt. Durch die Sprachvergessenheit der Ingenieurwissenschaften, Medizin und Biologie, ist heute „alles Kommunikation“: Der Darm kommuniziert mit dem Gehirn. Nervenzellen, Bäume und selbst Steine kommunizieren miteinander. Kommunikation ist endgültig „entsubjektiviert“ worden.
Der Verhaltenswissenschaftler Paul Watzlawick (1921–2007) hat in der Debatte um „Kommunikation“ seine Spuren hinterlassen. „Man kann nicht nicht kommunizieren“ lautet seine bekannteste und zugleich umstrittenste Aussage. Menschen beeinflussen einander wechselseitig durch ihr Verhalten. Sie müssen füreinander anwesend sein, dann können auch ein Schweigen oder ein abwesender Blick eine folgenreiche Botschaft beinhalten. Wir reden hier also über Interaktion. Wer interagiert, kommuniziert zugleich. Wer kommuniziert, muss jedoch nicht auch interagieren. Man kann sehr wohl nicht kommunizieren, etwa durch Abwesenheit oder Abschalten.
Das Ganze ist mehr als bloße Wortspalterei. Im beruflichen Alltag ist die Interaktion mit ihrer Notwendigkeit der Anwesenheit und des Blicks in das Gesicht des Gegenübers auf dem Rückzug. Chronische Zeitverknappung, Effizienzdruck und die Allgegenwart des Bildschirms sind nur einige Gründe dafür. Damit werden die Quellen für Missverständnisse immer zahlreicher und die ohnedies geringe Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation überhaupt „gelingt“, sinkt weiter. Es gilt somit zu unterscheiden zwischen der Interaktion unter Anwesenden und der interaktionsfreien Kommunikation. Der Ausgangspunkt ist für beide gleich, nämlich das Enkodieren einer Botschaft in Signale auf der Seite des Senders und das Dekodieren dieser Signale auf der des Empfängers.
Die Wurzeln menschlicher Kommunikation liegen in den Zeigegesten und der Gebärdensprache. Sie zu entschlüsseln, erforderte bereits erhebliche kognitive Fertigkeiten, da es ja darum ging, die Absichten anderer zu verstehen. Für unsere Spezies ergab sich daraus ein evolutionärer Vorteil. Es war die Kooperation, die uns stark machte. Aus den Gesten und Gebärden entstanden zunächst Zeichensprachen und später stimmliche Sprachen. Letztere sind besonders starke Kommunikationsmittel, da sie mehr potenzielle Information enthalten als Gestik und Mimik. Wir lernten rasch, auch außerhalb des kooperativen Miteinanders zu kommunizieren, etwa um zu lügen und zu täuschen, zu unterdrücken und zu demütigen.
Bleiben wir bei der wünschenswerten kooperativen Kommunikation. Sie ist nicht frei von Voraussetzungen. Kooperative Kommunikation – besonders in der Arzt-Patient-Beziehung – braucht ein hohes Maß an Aufmerksamkeit auf beiden Seiten. Diese wird am besten erreicht durch eine gemeinsame Absicht, die es wahrscheinlicher macht, dass beide Partner die Situation, in der die Kommunikation stattfindet, auch in gleicher Weise interpretieren. Dann können auch drei wichtige Verstärker zur Geltung kommen:
Die Arzt-Patient-Beziehung (APB) kann drei idealtypischen Modellen zugeordnet werden, die unterschiedlich kooperativ ausgerichtet sind.
Im Zuge der nunmehr seit einem halben Jahrhundert ungebrochenen Wertedynamik haben Werte wie Gehorsam, Unterordnung oder Pflichterfüllung an Bedeutung eingebüßt und sind zum Teil durch Selbstentfaltungswerte wie Spontaneität, Ungebundenheit oder Spaß ersetzt worden. Daraus „mixen“ sich die Menschen heute ihren eigenen „Wertecocktail“, dessen Rezept sie durchaus auch den Lebensumständen anpassen. Diese Buntheit an Werteprofilen und damit Lebensmodellen berührt auch die Arzt-Patient-Beziehung. Die paternalistische APB wird vielleicht noch von den Angehörigen des „traditionellen Milieus“ oder der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ akzeptiert. Auch ältere Patienten und Personen mit geringem Bildungsgrad beugen sich nach wie vor dem paternalistischen Modell. Sie nehmen dafür in Kauf, dass ihre Gespräche kürzer verlaufen und ihnen Diagnosen und Therapien in verknappter Form erklärt werden. Wer hingegen etwa den „Digitalen Individualisten“, „Performern“ oder „Hedonisten“ zuzurechnen ist, wird sich mit dem klassischen Beziehungsmodell nicht abspeisen lassen. Hier ist die Erwartungshaltung hoch und Enttäuschungen werden im sozialen Umfeld rasch und ungefiltert verbreitet.
Manches spricht dafür, dass gute Gespräche stark vom Zufall abhängen. Gespräche bauen ja auf wechselseitigen Erwartungen auf, die nur schwer vorhersagbar sind. Immerhin gibt es Faktoren, die das Gelingen von Gesprächen zwar nicht garantieren können, es aber wahrscheinlicher machen. Solche Praktiken sind mittlerweile gut erforscht.
Wesentlich für eine gelingende Kommunikation sind gemeinsame Sprachkenntnisse. Deswegen gestalten sich Gespräche mit Einwanderern und ihren Nachkommen so schwierig. Dolmetscherinnen, vor allem wenn sie aus dem Umfeld der Patientinnen stammen, neigen dazu, sehr frei und nicht unabhängig von eigenen Interessen zu übersetzen. Das erhöht die Gefahr von Missverständnissen und Urteilsverzerrungen.
Die Art und Weise, wie über Schmerzen gesprochen wird, hängt stark vom Geschlecht ab. So schildern Frauen ihre Schmerzen mehr kontextorientiert, also ausgerichtet an ihrem persönlichen Erleben und Alltag. Sie drücken sich vielfältiger aus, indem sie mehr Adjektive und Metaphern und weniger formelhafte Ausdrücke wie „es tut weh“ verwenden. Männer erzählen hingegen stärker symptomorientiert und dramatisieren gerne. Es gilt also, Patienten gerade bei der Beschreibung ihrer Schmerzen kommunikativ zu unterstützen.
Auch bei Unterbrechungen innerhalb des Gesprächs lassen sich gendertypische Unterschiede nachweisen. Frauen – Patientinnen ebenso wie Ärztinnen – leisten sich deutlich mehr unterstützende Unterbrechungen. Sie vollenden Äußerungen ihres Gegenübers oder sprechen sie gemeinsam aus. Damit signalisieren sie kommunikative Unterstützung und schaffen so eine gemeinsame Wirklichkeit, was den anfänglichen Nachteil einer eher diffusen Symptombeschreibung auszugleichen vermag.
Apropos Unterbrechungen. Ärztinnen und Ärzte unterbrechen oder übergehen Erzählversuche von Patienten häufig, bevor der eigentliche Inhalt deutlich wird. Viele Patienten resignieren dann angesichts der offenkundigen Asymmetrie innerhalb der APB. Dabei wird das Ziel der Unterbrechung, das Gespräch im Sinne einer Zeitrationierung abzukürzen, meist nicht erreicht. Im Gegenteil, ein gerissener Gesprächsfaden bedeutet immer eine erhebliche Einbuße an knapper Interaktionszeit.
Die Art der Eröffnungsfrage beeinflusst wesentlich den Gesprächsverlauf, weil sie dem Patienten unterschiedlich viel Platz für seine Schilderungen einräumt. Dabei geht es gar nicht um „richtige“ oder „falsche“ Fragen, sondern lediglich darum, sich bewusst zu sein, welche Reaktionen zu erwarten sind und ob man diese auch wünscht. So kann etwa die Frage „Na wie geht‘s uns denn heute?“ in einem Fall durchaus sinnvoll sein, in einem anderen jedoch zu einer vagen Symptomumschreibung geradezu einladen. Das Gespräch steuert also schon zu Beginn in die Ambiguität. Zweckmäßiger ist es, immer wieder Alternativen auszuprobieren, etwas das skalierende Fragen, das noch immer zu wenig eingesetzt wird. Der Aussage der Patientin „Mir geht es gar nicht gut“ könnte dann z.B. die Frage des Arztes folgen: „Wo fühlen sie sich denn zwischen 1 ´Alles ist gut´ und 10 ´nur schwer zu ertragen´“?
Mindestens so wichtig wie die Eröffnungsfrage ist es, die PatientInnen über den formalen Ablauf des Gesprächs zu informieren. Also darüber, was in etwa geschehen wird, wie lange die Prozedur dauern wird, welche Schritte vorgesehen sind und so fort. Transparenz und Klarheit helfen hier den Patienten, sich in Ort und Zeit zu orientieren, reduzieren Unsicherheit und ermöglichen dadurch die Konzentration auf die eigentlichen Gesprächsinhalte.
Immer mehr im Bewusstsein der Ärztinnen und Ärzte verankert ist inzwischen die Notwendigkeit des teilhabenden Zuhörens. Hier sind Nachfragen wichtig, um das wechselseitige Verständnis zu sichern („Habe ich das richtig verstanden, wenn Sie sagen …?“). Auch dosiertes Wiederholen („Wie gesagt, wir sollten doch …“) und das Paraphrasieren dessen, was der Patient gesagt hat, um ihm Aufmerksamkeit zu signalisieren („Sie meinen also, dass …?“), unterstützen den Gesprächsverlauf.
Bisweilen kann auch eine empathische Gesprächsführung („Was Sie sagen, berührt mich sehr …“) zum Gelingen des Gespräches beitragen. Emotionen tragen die im Inneren waltenden Gefühle nach außen. Sie nicht zu neutralisieren, sondern zu erkennen und zuzulassen, erhöht die Bereitschaft des Patienten zur Selbstöffnung. Vier Schritte können dabei helfen: Ansprechen („Nehme ich das richtig wahr, dass …?“), Benennen („Das macht Sie dann traurig …“), Klären („Wie fühlen Sie sich dann …?“) und Interpretieren („Ihre Angst kommt offenbar von …“).
Sogenannte Relevanzmarkierungen gehen im Gespräch oft verloren. Mit ihrer Hilfe versuchen Patienten auf heikle Themen hinzuweisen, ohne sie direkt zu benennen. Dies kann durch Betonung erfolgen (z.B. eine lauter oder leiser werdende Stimme), durch die Verwendung bestimmter Partikeln („eigentlich“, „überhaupt“), durch eine verstärkte Mimik oder Gestik, aber auch durch holprige Formulierungen, Satzabbrüche oder viele ähs und ähms. Wie wichtig solche Relevanzmarkierungen sind, soll dieses Beispiel zeigen.
Der Patient äußerst im Laufe der Anamnese folgenden Satz: „Ich mach‘ derzeit a Diät, ned?“ Der Patient spricht leise, beinahe verhalten. Die Wortwahl „derzeit“ und das Zustimmung heischende „ned?“ (nicht wahr?) signalisieren, wie sehr ihn das Thema bewegt. Mit der vagen Formulierung „a Diät“ stuft er die Bedeutung jedoch gleichzeitig herab. Der Patient äußert sich also ambig. Vielleicht will er es einfach dem Arzt überlassen, die Wichtigkeit einzuschätzen. Dieser antwortet nicht, blättert in seinen Unterlagen und zeigt sich von der Äußerung des Patienten unbeeindruckt. Als wenig später die Krankenschwester ins Zimmer kommt und nach Diätvorschriften fragt, antwortet ihr der Patient – sehr zur Überraschung des Arztes – „Ich hab‘ Zucker“. Dass der Arzt auf Relevanzmarkierungen nicht geachtet hat, hätte also eine unter Umständen lebensbedrohliche Situation schaffen können.
Immer mehr Patienten entwickeln ihre subjektiven Krankheitstheorien (SKT). Zeitschriften, Fernsehen, Internet, Freunde und selbsternannte Experten liefern laufend neuen Stoff dafür. SKT entstehen aus dem Bedürfnis, die Ursachen für das eigene Befinden zu ergründen, daraus Abwehrmaßnahmen abzuleiten und so psychische Entlastung zu erfahren. Manche Patienten äußern ihre SKT im ärztlichen Gespräch nicht sofort, sondern warten auf einen Auslöser. Andere sind offensiver und wollen ihre Theorie („Das muss mit dem Blutdruck zusammenhängen…“) vom Arzt oder der Ärztin einfach bestätigt erhalten. SKT sollten im Gespräch nicht einfach als laienhaft abgetan werden. Vielmehr empfiehlt es sich, im Gespräch auf solche persönliche Theorien konstruktiv einzugehen. Schwierig genug, aber damit bleibt zumindest die Mündigkeit des Patienten erhalten, und diesem wird klar, wie wichtig sein Beitrag zum Therapieerfolg sein kann.
Viele SKT sind auf kognitive Dissonanzen zurückzuführen. Gedanken, Überzeugungen und Empfehlungen, die miteinander nicht vereinbar sind, führen zu Spannungen („Mein Arzt sagt, ich soll dreimal täglich diese Tropfen nehmen, aber das vergiftet mich ja bloß“), die gerne mithilfe selbst gebastelter „Wahrheiten“ reduziert werden („Ich kenn‘ da jemand, der nimmt gar nix und ist vollkommen gesund“). Aufklärung und Warnungen stoßen dann allzu leicht auf taube Ohren. Solchen Dissonanzen durch Verhaltensänderungen entgegenzuwirken, das gehört zur Hohen Schule der Gesprächsführung zwischen Arzt und Patient.
Die „Illusion einer gelungenen Kommunikation“ mag für so manche Alltagssituation hinnehmbar sein. Mit Missverständnissen und falschen Schlussfolgerungen gilt es eben zu leben. Für die Arzt-Patient-Beziehung wäre eine solche Nonchalance fahrlässig. Gelingende Kommunikation mit den Patienten gehört zu den wirksamsten Ressourcen, über die Ärztinnen und Ärzte verfügen. Sie verlangt nach einer Fähigkeit, die unter der heutigen Bedingung hoher und noch dazu zunehmender sozialer Vielschichtigkeit deutlicher denn je hervortritt: Die Fähigkeit, mit höchst unterschiedlichen Menschen mithilfe einer Vielfalt kommunikativer Mittel wirkungsvoll zu interagieren, indem ich mich auf die Wechselwirkung zwischen mir und meinem Gegenüber einlasse. Diese Fähigkeit wird schwerlich zur Perfektion gelangen können, denn selbst ein ganzes Menschenleben wäre zu kurz, um den Verästelungen menschlicher Denk- und Handlungsweisen gerecht zu werden. Aber allein, es immer wieder zu versuchen, vermag diese so unschätzbare ärztliche Ressource doch stetig zu vermehren.
Quelle: QUALITAS 01/2023, Springer-Verlag.