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Bereits Wochen vor größeren regionalen COVID-19-Ausbrüchen kann ein Forscherteam aus Boston und Salzburg solche Entwicklungen abschätzen. Darüber berichten die Wissenschafter im Fachblatt "Science Advances". Gewissermaßen als Vergrößerungsglas für den zeitlichen und räumlichen Verlauf der Infektionsdynamik fungieren u.a. Daten aus Online-Diensten wie Google Trends, Apple Mobility oder dem Social Media-Portal Twitter. Angewendet werden können die Methoden auch in Österreich.
"Die reale Welt durch digitale Daten besser zu verstehen", ist das Ansinnen von Bernd Resch und seinem Team vom "Geo-social Analytics Lab" der Universität Salzburg. Postings auf Twitter und anderen Social Media-Kanälen, die noch dazu mit Hinweisen auf den Ort, an dem sie abgesendet wurden, versehen sind, würden sich mit gewissen Einschränkungen als "Spiegel der Welt" eignen - vorausgesetzt man versteht es, die Datenflut auf sinnvolle Weise zu filtern und wissenschaftlich fundiert Schlüsse daraus zu ziehen, so der Geoinformatiker.
Viele Menschen geben auf Social Media bekanntlich verschiedenste Informationen preis. Das erlaube Rückschlüsse für die Epidemiologie, die Stadtplanung oder auch die Analyse von Fluchtbewegungen und Migration. All das möchte Resch auf wissenschaftlich hohem Niveau bearbeiten, um dann die "Brücke in die Praxis" zu schlagen.
So bietet man NGOs wie etwa dem Roten Kreuz, den Johannitern oder Ärzte ohne Grenzen Analysen zur Unterstützung bei Entscheidungen im Krisenmanagement an. Im Rahmen der Spatial Services GmbH - einem Spin-off-Unternehmen aus dem Umfeld der Uni Salzburg - liefert das Team Einschätzung etwa wenn erste Berichte zu größeren neuen Flüchtlingsströmen Richtung Österreich auftauchen. Über Social Media erhält man zum Beispiel auch im Katastrophenfall Einblick in Situationen vor Ort ohne dort zu sein. Das erlaube "relativ zuverlässige Abschätzungen in Nahe-Echtzeit", und das weltweit und unabhängig vom Anwendungsfall, sagte Resch.
Im Falle der aktuellen Veröffentlichung ist dies die Covid-19-Ausbreitung in den USA. Die Arbeit entstand in Zusammenarbeit mit Medizinern und Epidemiologen der Harvard Medical School, die Verlaufskurven von Krankheitsausbrüchen zeitlich schon sehr gut abbilden können. "Was sie aber nicht wissen ist, wo sich der Erreger ausbreiten wird", so Resch. Das ist aber für politische Maßnahmen zur Eindämmung in einem so großen Land extrem wichtig, um regionalspezifische Entscheidungen zu treffen.
Hier kommt der Salzburger Forscher ins Spiel. In der Studie legt das Team dar, wie sich mit modernen Analysemethoden die Entwicklungen auch auf Basis von Online-Daten auf der US-Bezirksebene (Counties) und in Ballungsräumen bezirks- oder bundesstaatenübergreifend detailliert vorhersagen lassen. Hier besteht jeweils hohe Übereinstimmung mit den in den USA mit einem Zeitverzug von mehreren Wochen dokumentierten COVID-19-Zahlen.
Mit der Methode "erkennt man, sich bewegende Hotspots" der COVID-Infektionen über den zeitlichen Verlauf hinweg, erklärte Resch. Das helfe etwa auch Pharmaunternehmen, die für ihre klinischen Studien wissen möchten, wo in Zukunft mit verstärkten Infektionen zu rechnen ist, um herauszufinden, wie gut neue Impfstoffe die Dynamik bremsen können. Schon in einer früheren Arbeit konnte man zeigen, dass Social Media-Daten die epidemiologische Kurve bis zu 17 Tage vorwegnehmen können - vor allem während der Frühphase der Ausbreitung der Krankheit.
Auch wenn das Online-Verhalten und die Struktur öffentlicher Daten in Österreich anders sind, würden sich die Ansätze auch auf die Situation hierzulande übertragen lassen. Wichtig sei zu betonen, dass es nicht darum geht, in das Verhalten einzelner Personen zu blicken. "Wir wollen wissen, wie es um ein geografisches oder soziales Phänomen in der raum-zeitlichen Ausprägung bestellt ist", so Resch, der etwa auch zum Thema Verschwörungstheorien und deren Entstehung, Ausbreitung und Wahrnehmung in Österreich forscht. Informationen dazu seien etwa für die Politikgestaltung interessant. Bezüglich der Vorhersage von Krankheitsausbreitung gelte, "nach der Pandemie ist vor der Pandemie, insofern sind wir hier momentan wieder verstärkt in der Forschung auf dem Gebiet drinnen", sagte Resch, der seine Forschungsthemen im Rahmen des "iDEAS:lab" der Uni Salzburg auch für die breite Öffentlichkeit aufbereitet.