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SAP: Und tschüss!

18. Mai 2023 | Martin Hehemann
Post-It mit Aufschrift "Und tschüss".
Post-It mit Aufschrift "Und tschüss".

Der deutsche SAP-Konzern stellt bis spätestens 2030 den Support für seine wichtige Krankenhaus-Software IS-H ein. Konkurrent Oracle kündigt Gleiches für sein Paket i.s.h.med an. Viele betroffene Kliniken werden in dieser Frist eine Umstellung nicht schaffen.

Healthcare ist für die SAP strategisch wichtig. Wir sind im steten und engen Austausch mit unseren Kunden und Partnern aus dem Gesundheitssystem, um ihnen zu helfen, auch in unsicheren Zeiten leistungsfähig zu bleiben. Mit Aussagen wie dieser gegenüber der ÖKZ bemüht sich der deutsche Softwarekonzern SAP, seine Klientel im Gesundheitswesen zu beruhigen – ohne großen Erfolg. Denn die „unsicheren Zeiten“ haben einen eindeutigen Verursacher: die SAP selbst.

Der börsennotierte IT-Konzern hat im vergangenen Oktober das Aus für sein Krankenhausmanagement-System Industry Solutions Healthcare (IS-H) angekündigt. Bis Ende 2027 soll der reguläre Support für das System eingestellt werden, bis Ende 2030 der aufpreispflichtige „Extended Support“. Diese Nachricht hat bei den IT-Verantwortlichen der Krankenhäuser eingeschlagen wie ein Faustschlag in die Magengrube. „Darauf waren wir nicht vorbereitet. Das hat uns alle am linken Fuß erwischt“, meint Christoph Wuczkowski, Applikationsbetreuer beim österreichischen Krankenhausbetreiber Vinzenz Gruppe. Wuczkowski, der bei der SAP Anwendergruppe Gesundheitswesen Österreich (SAGA) für das Thema IS-H zuständig ist, ist hörbar sauer: „Besonders betroffen, sind natürlich jene Häuser, die IS-H erst vor Kurzem eingeführt haben oder sogar noch mitten in der Einführung stecken.“ Zu dieser Kundengruppe zählen die zur Vinzenz Gruppe gehörenden Barmherzigen Brüder Österreich. Die Ordensspitäler hatten sich vor zwei Jahren für das Produkt aus dem Hause SAP entschieden. Derzeit sind zwei von sieben Spitälern umgestellt. „Damit hat niemand gerechnet. Wir sind davon ausgegangen, dass wir langfristig mit dem System planen können“, so IT-Leiter Christian Neubauer.

 

Mehr als 100 Krankenhäuser betroffen

Experten schätzen, dass rund 800 Krankenhäuser in der DACH-Region IS-H im Einsatz haben, mehr als 100 davon in Österreich. Walter Schinnerer, der als Fachvorstand der SAP-User-Organisation DSAG für Österreich verantwortlich ist, vermutet, dass hierzulande „fast alle öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser IS-H verwenden“. Bei IS-H handelt es sich um ein leistungsstarkes Programm, mit dem die Krankenhäuser die gesamte Administration der Patientendaten und die komplexe Patientenabrechnung abwickeln. Die Bedeutung der SAP-Software ist für die betroffenen Häuser kaum zu überschätzen. Ohne IS-H geht nichts – keine Aufnahme von Patienten, keine Leistungsbeschreibung, keine Entlassung, kein Schreiben von Rechnungen.

Erschwerend kommt hinzu, das IS-H eng mit einem anderen wichtigen Software-Paket verknüpft ist, das von vielen Spitälern verwendet wird: i.s.h.med. Dieses Programm ist ein sogenanntes KIS (Krankenhausinformationssystem), mit dem die medizinischen Daten der Patienten erfasst werden – von der Anamnese über die Therapie bis zur Nachbehandlung. Die Rechte an der Software hält seit einiger Zeit ausgerechnet der Erzrivale von SAP, der US-Konzern Oracle. Dieser hat bereits verlautbart, den Support für i.s.h.med ebenfalls einstellen zu wollen. Es gilt das Gleiche wie für IS-H: Bis 2027 gibt es noch den regulären Support, bis 2030 den aufpreispflichtigen. Ob Oracle einen Nachfolger von i.s.h.med entwickeln wird, ist allerdings noch unklar.

 

Aggressive Marktflucht

Und als ob die Marktflucht der beiden Software-Riesen den Klinikmanagern nicht schon genug im Magen liegen würde, kommt ein dritter, schwer verdaulicher Software-Brocken dazu: IS-H und i.s.h.med sind eng mit dem Herzstück der SAP-Produktpalette verknüpft, dem Programm ECC. Mit ihm steuern Unternehmen, darunter auch die meisten heimische Krankenhäuser, ihre Finanzbuchhaltung, die Kostenrechnung und die Materialwirtschaft. Derartige Systeme werden auch ERP genannt. SAP ist hier weltweit Marktführer. ECC soll nun ebenfalls das Zeitliche segnen und durch das neue SAP-Betriebssystem S4/Hana ersetzt werden. Das geplante Aus für die ECC-Wartung? Erraten: 2027 für den regulären, 2030 für den aufpreispflichtigen Support.

Laut einer aktuellen Umfrage, die die DSAG unter den betroffenen Krankenhäusern in der DACH-Region durchgeführt hat, stecken die Spitalsbetreiber derzeit mitten in der Umstellung auf S4/Hana. Vier Prozent von ihnen haben das neue SAP-Betriebssystem bereits im Einsatz. Bei fünf Prozent läuft die Implementierung. Weitere 47 Prozent planen sie. Fast genau so viele Häuser – 42 Prozent – haben sich allerdings noch nicht entschieden. Und es könnte durchaus sein, dass diese Spitäler den IS-H-Schock zum Anlass nehmen, ihre IT-Strategie komplett zu überdenken und SAP den Rücken zu kehren. 

Walter Schinnerer,<br>Fachvorstand der SAP-User-Organisation <br>DSAG für Österreich<br> 
SAP muss nicht zwangsläufig gesetzt sein.

Walter Schinnerer,
Fachvorstand der SAP-User-Organisation 
DSAG für Österreich
 

IT-Overkill im Spital

Diese zeitliche Synchronisation, die aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht von SAP und Oracle sinnvoll sein mag, dürfte bei manchem betroffenen Krankenhausmanager den Wunsch nach stimmungsaufhellenden Substanzen wecken. „Das ist der absolute Overkill. Ein Projekt dieser Größenordnung wäre zu verkraften. Zwei nicht. Drei gar nicht“, meint der IT-Leiter eines Spitals. SAGA-Vertreter Wuczkowski ergänzt: „Die IT-Ressourcen in den Häusern sind schon ausreichend damit gefordert, die Systeme am Laufen zu halten. Auf diese geballten Sonderbelastungen sind sie nicht ausgerichtet.“

Was für einen Laien nach einer kleinen Ewigkeit klingt – bis 2030 sind es ja immerhin noch sieben Jahre –, gilt unter IT-Profis als höchst ambitioniert. Allein für die Ausschreibung eines IS-H-Nachfolgers werden rund zwei Jahre veranschlagt. Danach folgen die Implementierung, notwendige Anpassungen und die Migration der Daten – all das braucht seine Zeit. Und während es für i.s.h.med eine ganze Reihe von alternativen Produkten am Markt gibt, ist dies bei IS-H de facto nicht der Fall. Das Nachfolge-System muss erst entwickelt werden.

Experten gehen davon aus, dass dafür ein Aufwand von 50.000 Mannstunden oder umgerechnet rund 230 Mannjahre notwendig sind. Das bedeutet: Selbst wenn ein potenzieller Anbieter 100 Softwareentwicklerinnen und Entwickler auf das Projekt ansetzt, wird er mehr als zwei Jahre benötigen. Kein Wunder also, dass Gelassenheit und Zuversicht sich bei der SAP-Klientel in Grenzen halten: „Eine Umstellung in so kurzer Zeit auf ein System, das es noch gar nicht gibt – das werden viele Häuser nicht schaffen“, meint DSAG-Vertreter Schinnerer.

Quelle: ÖKZ, 64. JG, 5/2022, Springer-Verlag.

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