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Auf die Entscheidung hatten die IT-Leiter der österreichischen Krankenhausbetreiber seit Monaten mit Spannung gewartet. Im Juli war es dann soweit: Die Österreich-Tochter des deutschen IT-Konzerns T-Systems gab bekannt, eine Nachfolgelösung für das Patientenmanagement-System IS-H entwickeln zu wollen. Die Implementierung bei den Kunden soll das Tiroler Unternehmen AT Solution Partners (ATSP) übernehmen. Damit steigen die Chancen, den Total-Crash zu vermeiden.
„Das ist eine gute Nachricht. Sie gibt uns vor allem eines: Planungssicherheit“, meint Walter Schinnerer, Fachvorstand der Vereinigung der SAP-User (DSAG) für Österreich.
Diese Planungssicherheit vermisst Schinnerer seit einiger Zeit beim Software-Riesen SAP. Denn der hat im vergangenen Herbst überraschend angekündigt, den Support für seine Krankenhaus-Software IS-H einzustellen: bis Ende 2027 den regulären Support, bis Ende 2030 den aufpreispflichtigen „Extended Support“. Seitdem herrscht in den IT-Bereichen der Spitäler der Alarmzustand (die ÖKZ berichtete in ihren Ausgaben 1-2/2023 und 5/2023). Denn was für Laien nach einer halben Ewigkeit klingt – bis Ende 2027 sind immerhin noch mehr als vier Jahre Zeit – ist für IT-Fachleute eine Operation in der Notfall-Ambulanz: Allein für die gesetzeskonforme Ausschreibung eines derartigen Programms fallen in der Regel zwei Jahren an. Der Rollout samt Migration der Daten erfordert zusätzlich mehrere Jahre.
Mit T-Systems will neben Dedalus und CompuGroup ein dritter Anbieter zum Aufräumen des SAP-Chaos beitragen. Die Klinik-IT-Teams fürchten trotzdem, dass die Personalressourcen der Softwarehäuser den Bedarf nicht decken werden.
Experten schätzen, dass rund 800 Krankenhäuser in der DACH-Region IS-H verwenden. In Österreich ist die Lage besonders brisant. Nach Angaben von T-Systems haben 22 heimische Krankenhausträger das Programm im Einsatz. Damit sind 6,6 Millionen Menschen oder 95 Prozent aller in Österreich behandelten Patienten betroffen. Und die Bedeutung von IS-H im Spitalsalltag ist kaum zu überschätzen. Bei der Software handelt es sich um ein leistungsstarkes Programm, mit dem die Krankenhäuser die gesamte Administration ihrer Patientendaten samt der höchst komplexen Patientenabrechnung abwickeln. „Ohne IS-H können keine Patientinnen und Patienten aufgenommen werden, keine Leistungen beschrieben, keine Entlassungen vollzogen und keine Abrechnung durchgeführt werden“, so DSAG-Mann Schinnerer. Kurz: Ohne IS-H geht nichts.
Die Situation wird dadurch verschärft, dass zahlreiche Krankenhäuser zeitgleich mit zwei weiteren aufwendigen IT-Umstellungen konfrontiert sind. Umstellung Nummer zwei betrifft rund ein Drittel der heimischen Spitäler: IS-H ist in diesen Häusern eng mit i.s.h. med verknüpft. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Krankenhausinformationssystem (KIS), mit dem die medizinischen Daten der Patienten erfasst werden – von der Anamnese über die Therapie bis zur Nachbehandlung. Das Programm läuft auf SAP-Technologie, die Rechte hält aber mittlerweile der Erzrivale des deutschen IT-Riesen, der US-Konzern Oracle. Dieser will einen Nachfolger für i.s.h. med auf den Markt bringen. Bis 2035 soll es noch einen Support für die auslaufende Software geben. Das Problem: Dafür braucht Oracle die Zustimmung von SAP. Und ob der deutsche Konzern die erteilt, ist alles andere als garantiert.
Mit hundertprozentiger Sicherheit kommt dagegen ein drittes Umstellungsprojekt auf die österreichischen Krankenhäuser zu: Sowohl IS-H als auch i.s.h. med sind eng mit dem Herzstück der SAP-Produktpalette verbunden, dem Programm ECC. Mit ihm steuern Unternehmen ihre Finanzbuchhaltung, die Kostenrechnung und die Materialwirtschaft. ECC, das bei praktisch allen heimischen Spitälern im Einsatz ist, soll nun durch das neue Betriebssystem S4/Hana ersetzt werden. Wie bei IS-H gilt: Der reguläre Support läuft Ende 2027 aus, der aufpreispflichtige Ende 2030.
Die IT-Manager der österreichischen Krankenhäuser warnen daher vor dem IT-Infarkt in der Branche: „Die Krankenhäuser stehen vor gewaltigen Herausforderungen“, meint Markus Pedevilla, Leiter der Medizininformatik bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGES) und Sprecher der SAP-Anwendergruppe im österreichischen Gesundheitswesen SAGA. „Sie müssen ja nicht nur diese großen Umstellungen bewältigen, sondern auch noch den Regelbetrieb aufrechterhalten. Dazu kommen notwendigen Investitionen in die Telemedizin und die Cyber Security. Es ist mir derzeit noch unklar, wie die Branche das bewältigen will.“
Um Aufwand und Kosten zu sparen, beabsichtigt Schinnerer auch, die Bundesbeschaffung GmbH (BBG) zu involvieren. Sie soll eine europaweite Ausschreibung für einen IS-H-Nachfolger abwickeln. Der Vorteil der BBG-Ausschreibung für die einzelnen Spitäler: Sie sparen sich den Aufwand einer eigenen Ausschreibung, und die BBG kann das Verfahren deutlich rascher umsetzen. Es wird erwartet, dass bereits 2024 die Ergebnisse vorliegen.
Auf die von der BBG ausverhandelten Konditionen sollen auch private Krankenhausbetreiber und Ordensspitäler wie die Barmherzigen Brüder zugreifen können. Deren IT-Leiter, Christian Neubauer, betont allerdings, „dass wir bei der IS-H-Nachfolge alle Alternativen prüfen werden“. Er weist auf einen zusätzlichen Aspekt hin, der die Implementierung eines Nachfolge-Systems erschwert: „Wir haben keine Standard-IS-H-Lösung im Einsatz und verwenden zahlreiche spezifische Erweiterungen. Das ist bei anderen Krankenhausträgern ähnlich“, so Neubauer. Nachsatz: „Das erhöht natürlich den Aufwand der Umstellung.“
Für die IT-Manager der Gesundheitsbranche ist es alles andere als sicher, ob die Kapazitäten bei den infrage kommenden Anbietern ausreichen werden, um bis Ende 2027 – der Deadline für den aufpreisfreien Support durch SAP – die IS-H-Umstellung unter Dach und Fach zu bringen. Es werde wichtig sein, die Lösungen so zu konzipieren, dass der Umstieg einfach ist und damit auch der Schulungsaufwand für die Nutzerinnen und Nutzer sowie das IT-Fachpersonal gering bleibt.
DSAG-Mann Schinnerer möchte auf Nummer sicher gehen und fordert von SAP, die aufpreisfreie Wartung bis Ende 2030 zu verlängern. „Da SAP die eigene Branchenstrategie geändert hat, sollte man jetzt etwas dafür tun, das Vertrauen der Kunden nicht gänzlich zu verlieren“, meint Schinnerer. Der Software-Konzern hat bislang nicht auf diese Forderung reagiert. SAGA-Sprecher Pedevilla ist aber zuversichtlich: Viele Häuser, so Pedevilla, würden bis Ende 2027 die Umstellung von IS-H und ECC nicht schaffen. „Ich gehe davon aus, dass SAP seine Position deshalb hier noch überdenken wird.“
Quelle: ÖKZ 08-09/2023, 64. Jahrgang, Springer-Verlag.