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Das Bild ist bekannt. Ausgestattet mit Machtressourcen wie Status, Persönlichkeit, Erfahrungswissen oder besondere Fähigkeiten versucht die Führungskraft, ihre Vorstellungen bei den Mitarbeitern durchzusetzen. Damit ist die Richtung der Beeinflussung klar vorgegeben. In dem Moment jedoch, in dem man sich den Führenden und die Geführten als wechselseitig miteinander verbunden denkt – wie es ja eine aufgeklärte Sichtweise der Führungspraxis nahelegt – ist die Führungskraft nicht mehr die autonome, überlegene, allein verantwortliche und allwissende Lenkerin, sondern selbst Gelenkte.
Wer aus einer solchen Perspektive führen will, muss sich auch führen lassen. Und zwar nicht, indem er die Führung permanent abgibt und sich bequem oder aus Unsicherheit auf ein Laissez-faire zurückzieht. Sich führen lassen bedeutet vielmehr, im zweckmäßigen Moment die einseitige Asymmetrie aufzugeben, um danach wieder voranzugehen. Dieses Sowohl-als-auch von Führen und Sich-führen-lassen erzeugt eine neue Qualität, Emergenz genannt.
Wie beim Tanz, der nur auf den ersten Blick des Beobachters eine asymmetrische Beziehung ist. Tatsächlich interagieren hier zwei Menschen in einem zirkulären Prozess, in dem beide abwechselnd führen und sich dann auch wieder führen lassen. Jeder ist vom anderen abhängig, denn beide möchten den gemeinsamen ästhetischen Erfolg, der allein nicht möglich ist. Das Tanzpaar bildet ein System, in dem sich der bekannte Spruch „It takes two to tango“ bestätigt. Die Tango-Legende Carlos Cavito (1942–2005) drückte diese Zweiheit einmal gefühlsbetont aus: „Somehow we communicate the same mood to each other.“
Reiterin und Pferd sind ebenfalls in einem zirkulären Prozess miteinander verbunden. Juli Zeh, Schriftstellerin und Pferdeliebhaberin, wehrt sich gegen die Vorstellung, ein Pferd könne dressiert werden wie ein Hund, der Männchen macht. Pferde – natürlich gibt es Unterschiede – dürften vielmehr mit Menschen gerne zusammenarbeiten und das gemeinsam Erzielte auch genießen. Zeh fühlt die „Harmonie zwischen zwei völlig unterschiedlichen Wesen“ und die „wortlose Verständigung durch kleinste Signale“. Frauen sind übrigens im Dressurreiten wesentlich erfolgreicher als Männer. Vielleicht verstehen sie es besser, sich auf das Zirkuläre einzulassen.
Es gibt auch eine Zirkularität in der Musik. Dirigent und Orchester sind durch die Körpersprache des Dirigenten und die zustimmenden Blicke der Musiker miteinander verbunden. Der Musikpädagoge und frühere Dirigent Gernot Schulz sieht das so: „Ein musikalisches Kunstwerk gelingt erst durch eine ständige Abfolge von Verstärkungen – etwa durch die Körpersprache des Dirigenten, die zustimmenden Blicke der Musiker und die Reaktion des Publikums.“ Erfahrene Dirigenten lassen sich manchmal vom Orchester einfach führen, um diesem dann in schwierigen Passagen über mögliche Klippen zu helfen.
Das klingt alles so sinnvoll, harmonisch und reibungsfrei. Es fordert eine Entgegnung geradezu heraus. Warum gibt es „da draußen“ – oder vom Elfenbeinturm aus betrachtet „dort unten“ – so viele lästige, quälende, ja krankmachende Führungsbeziehungen? Ein wesentlicher Grund liegt sicher im Ursprung jeglicher Führung, der Herrschaft. Sie entwickelte sich in der Sesshaftwerdung unserer Spezies und regelte für Jahrtausende das Verhältnis von „Menschen über Menschen“. Die paar Jahrzehnte, in denen Menschen im Sinne des mittelhochdeutschen Wortursprungs vüeren – „in Bewegung setzen“ – geführt werden und sich führen lassen, sind im Vergleich dazu bescheiden. Selbst diese Art des Führens kommt oft ohne einen aus der Herrschaft herübergeretteten Wert nicht aus, den Gehorsam.
Auf Gehorsam treffen wir in vielen Lebensbereichen. In seiner blinden Form in Militär und Religion, unentbehrlich bis abträglich in der Erziehung und als Regeltreue (Compliance) in Recht und Wirtschaft. Für Führungskräfte ist Gehorsam verführerisch. Die Autorität und damit Asymmetrie zwischen ihnen und den Geführten bleibt intakt. Auch dem Gebot der Effizienz wird Genüge getan. Führung erinnert dabei an die Lenkung eines Fahrzeugs, für die man ziemlich leicht eine Fahrerlaubnis erhält und bei der die Gelenkten zum Zeug werden. Mit den Folgen des Ausgebranntseins oder der Resignation.
Die Beteiligten verändern sich von selbst, weil sie diese Veränderungen als persönlichen Gewinn wahrnehmen. Führung wird dann nicht mehr als einengend, gleichgültig oder feindselig erlebt, sondern als etwas Gestaltendes. Wie eben beim Tango.