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Ende vergangenen Jahres stellte die damalige Gesundheitsministerin ihre Absicht eines Masterplans Pflege vor. Bis Ende 2019 sollten konkrete Maßnahmen vorgelegt werden. Was aus dem Vorhaben wird, ist nach dem Ende der türkis-blauen Regierung ungewiss. Handlungsbedarf besteht im Bereich Langzeitpflege jedenfalls.
Es ist gut, dass über wichtige Themen im Betreuungs- und Pflegebereich nachgedacht wird“, meint Wilma Steinbacher, Vorsitzende von Pro Senectute und Direktorin der Altenbetreuungsschule des Landes Oberösterreich. Für die 24-Stunden-Betreuung sieht sie dringenden Handlungsbedarf, etwa in Hinblick auf die Qualität der hier agierenden Agenturen. „Es müsste verpflichtende Schulungen für die Betreuenden geben und klare, einheitliche Qualitätskriterien und -standards für Agenturen“, so Steinbacher.
Ein deutlich strukturierteres Vorgehen bei der Unterstützung pflegender Angehöriger wäre ebenfalls wichtig: Sollte „Pflege mobil vor stationär“ weiterhin das Ziel sein, dann braucht es eine personenzentrierte Unterstützung. Nicht die Betroffenen richten sich nach den Angeboten, sondern die Betreuung richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen. So sollten Fachkräfte vor Ort in den Haushalten ein Assessment vornehmen, wo einerseits die Ressourcen und andererseits der individuelle Betreuungs- und Pflegebedarf abgeklärt werden können. Schließlich ginge es nicht nur um Pflege, „es geht um Leben“, meint Steinbacher.
Bei den Langzeitpflegeeinrichtungen bräuchte es den Mut für mehr zukunftsorientierte Konzepte: „Weg von den formalen, strukturellen Gegebenheiten, hin zu deutlich mehr Flexibilität für individuelle Umsetzungsmöglichkeiten von Betreuungs- und Pflegemaßnahmen. Heime müssten ihre Kompetenzen deutlich selbstbewusster einbringen und vor allem auch dazu beitragen, dass Menschen so lange wie möglich im häuslichen Bereich verbleiben können.“ Also integrierte Betreuung ermöglichen, wie Angebote zur Kurzzeitpflege, Schulungen für Angehörige, mobiles Wundmanagement usw. Und Organisationslernen und -wandel ermöglichen, wo Mitarbeiter, Nutzer und (pflegende) Angehörige auf lokaler Ebene miteinbezogen werden.
Um – wie es im Vorhabensbericht des Masterplans Pflege heißt – „Entscheidungsgrundlagen für eine langfristige und nachhaltige Finanzierung“ zu erlangen, wurde eine Studie in Auftrag gegeben. Jürgen Holzinger, Obmann des Vereins ChronischKrank Österreich, bekam aus dem Ministerium nur spärliche Informationen über die von der Universität Wien umgesetzte Studie. Klar war nur, dass eine Gruppe aus Stakeholdern aus dem Gesundheits- und Sozialbereich gemeinsam an diesen Fragen arbeitete; was nun daraus wird, welche Erkenntnisse tatsächlich genutzt werden, kann niemand sagen. Holzinger verweist darauf, dass es von verschiedensten Trägern wie Caritas und Volkshilfe sehr detaillierte Vorschläge gibt.
Auch er sieht den Bereich der 24-Stunden-Betreuung als vordringliches Handlungsfeld: „Durch die Abschaffung des Pflegeregresses wollen mehr Menschen in einer Langzeitpflegeeinrichtung betreut werden, einfach auch, weil es dort sozusagen kostenlos ist.“ Bei der 24-Stunden-Betreuung sei der Zuschuss der öffentlichen Hand viel zu niedrig. „Im Licht des oft ausgesprochenen Mottos ‚ambulant vor stationär‘ ist das absurd und widerspricht diesem Ansatz“, kritisiert Holzinger. Ähnliches gelte für das Pflegegeld: Eine Erhöhung um ein Prozent der obersten Stufen sei quasi eine – viel zu geringe – Umwegfinanzierung der Heime.
„Nötig wäre – wenn die Menschen wirklich zu Hause betreut werden sollen –, die untersten drei Pflegegeldstufen angesichts des Wertverlusts der letzten Jahre endlich zu valorisieren.“ Das würde eine Erhöhung von zumindest 30 Prozent bedeuten. Und dann bräuchte es eine jährliche Indexanpassung.
Die diplomierte Pflegekraft Alexandra Prinz beschäftigte sich in ihrer Masterarbeit [1] intensiv mit der Finanzierung der ambulanten Pflege. Sie fordert eine Erhöhung aller Pflegestufen um 50 Prozent. Weiters nötig sei, sowohl Ärzte als auch Pflegekräfte „für ihre so wichtigen Hausbesuche adäquat zu bezahlen“. Momentan bekämen sie Bagatellbeträge, was eine freiberufliche Tätigkeit in der mobilen Pflege nahezu unmöglich machen würde. „Verdient eine Pflegekraft, wie es oft der Fall ist, nur elf Euro in der Stunde, ist das jedenfalls keine Motivation, in der mobilen Pflege tätig zu werden.“ Holzinger ergänzt, dass schon in wenigen Jahren zumindest 15.000 zusätzliche, „adäquat bezahlte“ Pflegekräfte pro Jahr notwendig sein werden, um tatsächlich „Daheim statt im Heim“ umzusetzen.
Einem Umstieg von Geld- auf Sachleistungen im Pflegebereich, wie in den letzten Wochen intensiv diskutiert, kann Holzinger nichts abgewinnen: „Das ist eine Form von Entmündigung. Sachleistungen können im besten Fall eine Ergänzung sein. Jede Person soll individuelle Möglichkeiten haben, sich jene Leistungen zuzukaufen, die sie benötigt.“ Auch die Gerontologin Wilma Steinbacher meint, dass es hier deutlich individuellere Lösungen braucht. Allerdings sagt sie, dass das ausbezahlte Geld teils für andere Zwecke verwendet werde, teils zu wenig sei, teils seien Pflegende und Angehörige mit diversen Betreuungs- und Pflegemaßnahmen bzw. -handlungen überfordert und „für die Pflegebedürftigen braucht es mehr Wahlmöglichkeit“.
Aus Holzingers Sicht „besonders wichtig ist, dass es zu einer Harmonisierung der Leistungen in den Bundesländern kommt. Es darf nicht vom Wohnort abhängig sein, welche Leistungen einer Person zur Verfügung stehen.“ Der Pflegefonds – ein zu zwei Drittel vom Bund und einem Drittel von Ländern und Gemeinden finanzierter Zweckzuschuss an die Länder zur Sicherung und zum bedarfsgerechten Aus- und Aufbau des Betreuungs- und Pflegedienstleistungsangebotes in der Langzeitpflege – müsse zu einem „gewichtigen Steuerungsinstrument“ weiterentwickelt werden. Dabei gehe es auch darum, die Qualität möglichst vielfältiger und individuell ausgerichteter Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten auszubauen. Die SPÖ fordert in diesem Zusammenhang einen mit sechs Milliarden dotierten Pflegegarantiefonds, der gemeinsam von Bund und Ländern gefüllt wird.
Im Zuge der Diskussion um die Finanzierung von Pflege wird auch immer wieder die Option einer Pflegeversicherung diskutiert. „Die erste Säule der Finanzierung der Pflege muss die öffentliche Hand sein“, sagt Vereinsobmann Jürgen Holzinger dazu. Wichtig sei aber, über verschiedene Möglichkeiten aufzuklären, für den Fall eines temporären oder dauerhaften Pflegebedarfs vorzusorgen, also über verschiedene Formen von Versicherungen.
Alexandra Prinz findet, die Pflegetätigkeit von Angehörigen und nahestehenden Menschen müsse auch auf pekuniärer Ebene etwas wert sein. In der Schweiz etwa stehen pflegende Angehörige in einem von der öffentlichen Hand finanzierten Angestelltenverhältnis, um die Betreuung mit entsprechender Qualität sicherzustellen. Der bis 2021 sichergestellte Pflegefonds würde dafür jedoch nicht ausreichen.
Und dann gibt es noch den Mangel an Fachkräften zu bewältigen. „Zum einen müsste es in Bezug auf Nostrifikationen deutliche Erleichterungen für Personen geben, die aus anderen Ländern kommen“, schlägt Wilma Steinbacher vor und kann sich zusätzlich spezifische Nachschulungen und Ergänzungsausbildungen bzw. begleitete Praktika vorstellen. Ausbildungen im Pflegebereich sollten ihrer Meinung nach überhaupt deutlich modularer gestaltet sein, so wie es an der Altenbetreuungsschule in Linz immer stärker umgesetzt wird. Bedeutsam seien dabei die Förderung des selbstständigen Lernens sowie eine Weiterentwicklung der Praktikumsbegleitung.
Auch für Daniela Palk vom Diakoniewerk greifen die momentan vorliegenden Konzepte zu kurz: „Es braucht ein Aufbrechen der Logik, dass es nur ein entweder mobil oder stationär gibt.“ Pflegegeldbezieher könnten künftig die Möglichkeit bekommen, mit dem Pflegegeld einen sachleistungsbezogenen Autonomiebetrag zu erwerben, der durch einen Zuschuss durch die öffentliche Hand mehr wert ist als das Pflegegeld an sich. Damit könnten nicht nur verschiedene – natürlich akkreditierte – Leistungen zugekauft werden, sondern auch in einer Region bisher fehlende Angebote aufgebaut werden. Gleichzeitig könnten sich Langzeitpflegeeinrichtungen so neu positionieren und ebenso einen Verbleib zu Hause durch verschiedene Leistungen unterstützen. Zu dieser Idee laufen aktuell Gespräche mit dem Land Oberösterreich und dem Sozialministerium.
[1] Prinz A (2015): Organisationsentwicklung zur Professionalisierung der extramuralen Pflege – eine qualitative Untersuchung
Quelle: ÖKZ 06-07/2019 (Jahrgang 60), Schaffler Verlag