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Wie mit Kreativität, Mathematik und digitalen Hilfsmitteln neue Anforderungen bewältigt werden können.
Logistik wird im Alltag kaum bis gar nicht wahrgenommen. Das ist ein gutes Zeichen, denn es bringt zum Ausdruck, dass der Materialfluss funktioniert und alles wie am Schnürchen klappt. Doch dann kam Corona und die Klopapierregale waren leer. Logistik ist fragil. Was bei Klopapier ärgerlich ist, kann bei Gütern für die Gesundheitsversorgung dramatisch werden. Um die einzelnen Standorte der Kliniken und Pflege-und Betreuungseinrichtungen auch während der Krise mit allem Notwendigen versorgen zu können, machten sich die beiden Logistikzentren der niederösterreichischen Landesgesundheitsagentur in St. Pölten und Wr. Neustadt innerhalb kürzester Zeit bereit, den üblichen Versorgungsumfang aufzustocken. „Logistik ist viel mehr als ein Unterstützungsprozess. Schutzbekleidung – Maske, Kittel, Brille, Handschuhe etc. – sowie PCR-Abstrichmedien, Antigentests und teilweise auch Zubehör für Beatmungsmaschinen, alles musste und muss rasch, vollständig und zeitnah an die zuständigen Orte geliefert werden“, sagt Jacqueline Brandstetter, stellvertretende kaufmännische Direktorin des Logistikzentrums Universitätsklinikum St. Pölten.
Flexibilität und schnelles Reagieren beherrschen seit März unseren Arbeitsalltag.
Sie ist stellvertretende kaufmännische Direktorin des Logistikzentrums Universitätsklinikum St. Pölten.
„Rasch, vollständig und zeitnah“ gelang anfangs nicht immer. Spediteure lieferten vor allem in den ersten Monaten der Pandemie teils spät in der Nacht oder am Wochenende die Ware an, die Stunden zuvor am Flughafen in Wien per Flugzeug eingetroffen war. „Oftmals konnten sie sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht verständigen oder lieferten zum Teil die falsche Ware, die dann abgeholt werden musste“, so Brandstetter. Sogar Kontingentierungen mussten anfangs durchgeführt werden: „Es glich einem Drahtseilakt, die Kliniken und Betreuungszentren einerseits ausreichend zu versorgen und andererseits darauf zu achten, dass die Lagervorräte nicht zur Neige gehen, bevor die nächste Nachlieferung eingetroffen ist.“ Auch die zusätzlichen Anforderungen wie etwa die Bereitstellung von Materialien für die Massentests und die Ausstattung der 1450er-Teams in Niederösterreich zu Beginn der Pandemie oder auch dringende Nachforderungen mussten schnellstmöglich bewältigt werden. „Flexibilität und schnelles Reagieren beherrschen seit März unseren Arbeitsalltag in der Logistik stärker denn je“, so Brandstetter.
Die Digitalisierung wurde auch in der Logistik einer der großen Unterstützer in der Krise. „Selbst im direkten Umfeld der Lagerlogistik wurde es plötzlich möglich, auf Home-Office zu setzen und die Arbeit klar zu trennen zwischen jenen Tätigkeiten, die unbedingt vor Ort erledigt werden müssen, wie die elektronische Datenerfassung, und jenen, die auch von zu Hause aus sehr gut umzusetzen sind“, sagt Brandstetter: „Essenziell ist eine offene und ehrliche Kommunikation, denn nur dann lassen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch motivieren, über ihre Grenzen hinauszugehen und ihre Komfortzone zu verlassen. Die unzähligen kurzfristigen und zusätzlichen Aufgaben wurden ohne Hinterfragen einfach erledigt, so gut und so schnell es möglich war. Ganz nach dem Motto ‚Wir machen’s einfach!‘“
Das FWF-Akutprojekt Logistik-Entscheidungsunterstützung in der Pandemie erarbeitet Empfehlungen, um Krisen wie die aktuelle Corona-Pandemie logistisch möglichst problemlos zu meistern. Margaretha Gansterer, Professorin an der Universität Klagenfurt, arbeitet da beispielsweise an Optimierungsalgorithmen, die helfen sollen, aus unüberschaubar vielen Lösungsmöglichkeiten gute Entscheidungen herauszufiltern. „Wir arbeiten mit Daten, die wir aus Niki Poppers Arbeitsgruppe zur Verfügung gestellt bekommen. Auch die Datenplattform COVID-19 der Gesundheit Österreich haben wir in Verwendung. Beispielsweise können wir für die Testteams optimale Routen berechnen, sodass jede zu testende Person möglichst schnell besucht wird und die Proben rechtzeitig im Labor ankommen. Auch wie sich die Eröffnung von weiteren Teststraßen auf die Kapazitätsauslastung der mobilen Testteams auswirkt, oder wo diese Straßen verortet sein sollten, können wir mit unseren Modellen beantworten.“ Wieviel Unsicherheit solche Modelle vertragen, hänge von der Problemstellung und auch vom konkreten Lösungsansatz ab. Gansterer merkt aber auch an: „Grundsätzlich ist es nicht nur wichtig, Kapazitäten zu schaffen, sondern auch, diese effizient zu nutzen. Auch in diesem Bereich hat sich seit Beginn der Krise viel getan.
Eine großflächige Impfkampagne ist ein Gewaltakt, die dazugehörige Bedarfsplanung nicht minder. Die Prozesse müssen perfekt ineinandergreifen. Produktionsengpässe oder -verzögerungen und verspätete Lieferungen können die schönsten Pläne über den Haufen werfen und einen Dominoeffekt erzielen."
Aber auch auf der letzten Meile, wissen Logistikexperten, kann noch viel schiefgehen. Rein technisch funktioniert es in Österreich derzeit so: Im ersten Schritt kommen die gelieferten Impfstoffe mit einer GPS-gesicherten und temperaturgeführten Lieferung in sogenannten „Thermal-Shippers“ aus dem Werk und werden mit Lastwagen in 17 Pharma-Lagerstandorte in Österreich ausgeliefert und in Ultra Freezern bei minus 70° C gelagert. Das gilt freilich nur für die beiden mRNA-Impfstoffe; die extremen Temperaturen werden bei den anderen COVID-Vakzinen wegfallen.
Monika Vögele, Generalsekretärin des Verbands der österreichischen Arzneimittel-Vollgroßhändler PHAGO, sagt: „Wir Arzneimittel-Vollgroßhändler liefern seit 27. Dezember 2020 Impfstoffe aus. Die große Herausforderung ist das Einhalten der Kühlkette, das Auftauen und dann die Auslieferung per Auto.“
Doch bevor die letzte Reise zu den Impfstellen losgeht, muss bestellt werden. Dafür sind die zugelassenen Impfstellen zuständig. Bestellt wird in Österreich über den Impf-e-Shop der Bundesbeschaffung GmbH (BBG). Sie unterstützt Impfstellen während des gesamten Bestellprozesses. „Seit 5. Jänner 2021 können berechtigte Impfstellen Bestellungen im Impf-e-Shop durchführen. Das System wurde schon früher aufgesetzt. Bereits am 22. Dezember 2020 wurde mit den Ländern ein Pilot erfolgreich absolviert. Beginnend mit 31. Dezember 2020 hat die BBG den Impfe-Shop zur Schulung und Anleitung rund um die Bestellungen ausgerollt und die Benutzer zugelassen“, heißt es in einer Stellungnahme aus der BBG. „Die Benutzerrechte werden in Koordination mit den Bundesländern erteilt. Danach erfolgt die Anlage der Benutzer und Einschulung durch die BBG. So wurde ein möglichst einfacher, niedrigschwelliger Einstieg gewählt, um jene Benutzer optimal betreuen zu können, die mit dem e-Shop der BBG bisher nicht vertraut waren.“ Geht eine Bestellung im e-Shop ein, tritt ein präzises Prozedere in Kraft. „Bevor wir den Impfstoff aus dem Ultra Freezer nehmen und auftauen – dieser Prozess dauert drei Stunden –, müssen wir überprüfen, wer vor Ort z.B. in den Alters- und Pflegeheimen den Impfstoff entgegennimmt, ob die angegebene Menge korrekt ist und die angeführte Lieferadresse stimmt“, sagt Monika Vögele. Parallel dazu läuft der gleiche Prozess in der jeweiligen Impfstelle vor Ort ab. Passt alles, wird aufgetaut und der letzte Countdown beginn zu laufen. „In dem Augenblick, wo wir den Impfstoff auftauen, gibt es kein Zurück mehr, denn der Impfstoff ist dann nur mehr 120 Stunden haltbar.“
Ist der Impfstoff aufgetaut, gibt es kein Zurück mehr.
Die Phiolen mit den Impfstoffen werden in eigens angefertigten Schachtelsystemen aufrecht in Spezialhalterungen gekühlt bei zwei bis acht Grad transportiert. Das einzelne Vakzin für den Patienten wird erst vor Ort bei den Impfstellen gemischt. Jacqueline Brandstetter aus dem Logistikzentrum St. Pölten sagt: „Der Abruf funktioniert ohne Probleme. Lieferungen werden zusätzlich durch den Pharmagroßhandel bestätigt und zeitnahe angekündigt. Über den e-Shop des BBG wird sichergestellt, dass der Bestellvorgang und der Status der Lieferung gut dokumentiert und ersichtlich sind. Die Vorverlegung der Impfung Anfang Jänner stellte auch keine große Schwierigkeit dar, da wir die Abläufe und Prozesse für das Impfen bereits geplant hatten und das Team im Universitätsklinikum St. Pölten für die Impfung einsatzbereit war.“
Quelle: ÖKZ 01-02/2021 (Jahrgang 62), Springer-Verlag