Die einen sind tiefbetrübt, die anderen machen weiter als wäre (fast) nichts gewesen. Der Umgang mit den Einschränkungen im öffentlichen und privaten Leben während der COVID-19-Pandemie ist unterschiedlich. Das liegt an der individuellen Resilienz.
Während die einen in ein tiefes emotionales Loch stürzen und möglicherweise sogar eine Depression entwickeln, sind die anderen nur kurz niedergeschlagen oder von außen betrachtet gänzlich unbeeindruckt, sodass sie aus der belastenden Situation ohne nennenswerten Schaden hervorgehen. Letztere sind regelrechte „Stehaufmännchen“, die in der Wissenschaft als resilient bezeichnet werden.
Dieser Begriff stammt ursprünglich aus der Materialkunde (englisch: resilience) und beschreibt die Eigenschaft eines Werkstoffes, nach starker Verformung wieder die ursprüngliche Gestalt anzunehmen. Wie ein Gummiball, der erst zusammengedrückt wird und sich dann wieder zu einer runden Kugel formt. Auf die Psyche übertragen bedeutet das, trotz des Erlebens eines schweren Ereignisses wieder ins seelische Gleichgewicht zu kommen.
Resilienz ist keine angeborene Eigenschaft und nicht direkt genetisch determiniert, sondern sie kann sich im Laufe eines Lebens entwickeln oder verändern. Entscheidend ist dabei beispielsweise, welche Strategien ein Mensch im Laufe seines Lebens zur Bewältigung schwieriger Lebenssituationen wie Trennungen, Umzüge mit Wechsel des Lebensumfeldes oder persönlichen Niederlagen entwickelt.
Frühere Krisen sind hierbei nicht zwangsläufig von Nachteil – im Gegenteil: Wer erfolgreich persönliche Krisen gemeistert hat, entwickelt eine positive Selbstwirksamkeitserwartung, die auch in der aktuellen Pandemie dazu beitragen kann, die Situation zu meistern. Wer in Krisen hingegen stets geschützt und behütet, sogar abgeschirmt wurde, wird wenig Möglichkeiten gehabt haben, einen eigenverantwortlichen Umgang mit Stressoren zu erlernen. Entsprechend hilflos sehen sich diese Menschen einer möglichen Problemlösung gegenüber. Und tatsächlich verhindert gerade diese subjektiv empfundene Hilflosigkeit, durch eigenes, aktives Handeln zu einer Lösung zu kommen.
Die eigene Selbstwirksamkeitserwartung lässt sich stärken. Und damit auch die Resilienz, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, an einer Krisensituation wie der COVID-19-Pandemie nicht zu zerbrechen. Vier Faktoren spielen dabei eine entscheidende Rolle:
1. Persönliche Erfolgserlebnisse
Vor allem positive Bewältigungserfahrungen, in denen Menschen schwierige Herausforderungen durch persönliche Anstrengungen bewältigen, stärken den Glauben an die eigene Handlungsfähigkeit. Dies schlägt sich langfristig auch in den Metakognitionen über die eigene Person nieder und begünstigt somit, dass auch zukünftigen Ereignissen positiv entgegengeblickt wird, weil von genügend Selbstwirksamkeit ausgegangen wird.
2. Stellvertretende Erfahrungen
Vorbilder können ebenfalls die eigene Resilienz stärken. Mitzuerleben, wie andere Menschen eine Situation erfolgreich bewältigen, die man gerade selbst als Herausforderung erlebt, kann ermutigend sein. Dabei ist es unerheblich, ob persönlicher Kontakt zu den Vorbildern besteht oder beispielsweise Biografien von diesen gelesen werden.
Während übertriebenes Lob unglaubwürdig klingt, kann ein ernst gemeintes Lob zur richtigen Zeit die eigene Motivation stärken und somit die Anstrengungsbereitschaft und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten erhöhen.
4. Wahrgenommener körperlicher Zustand und emotionale Erregung
Jeder emotionale Zustand geht mit einer körperlichen Reaktion einher. Oft geschieht dies automatisch und unbemerkt. Stress und Überforderung gehen mit einem erhöhten Muskeltonus einher. Viele Menschen beißen mit den Zähnen aufeinander oder ziehen die Schultern hoch. Doch an der Regulierung dieser körperlichen Stressreaktionen kann man durch gezieltes Entspannungs- oder Stressbewältigungstraining bzw. mit mentalen Techniken wie Meditationen arbeiten.
Diese Bausteine tragen langfristig dazu bei, dass Resilienz aufgebaut wird. Ebenso wird Resilienz durch diese Maßnahmen aufrechterhalten.
Seelische Resilienz ist wie eine Pflanze, die immer wieder gegossen, gedüngt und gepflegt werden will.
Nina T. Engstermann,
Psychologische Psychotherapeutin