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Besteht das E-Rezept den Praxistest in der Langzeitpflege? 

10. Januar 2024 | Thorsten Blocher
TI in der Pflege

Der Roll-out des E-Rezepts für verschreibungspflichte Arzneimittel findet mit der verpflichtenden bundesweiten Nutzung zum 01.01.2024 seinen Höhepunkt.
Was bedeutet das für die ambulante und stationäre Altenpflege? 

Ausgangssituation 

„Ich denke, ich brauche mal Ihre Hilfe“, so oder so ähnlich beginnen Anfragen zum E-Rezept nicht selten. Ansprechpartner für das Medikamentenmanagement in der Sozialwirtschaft, die sich mit der verpflichtenden Einführung des E-Rezepts beschäftigen, sind weitgehend orientierungslos. Dieser Hilferuf war beim FINSOZ e.V., der gematik und ti-pflege.de zu hören. 

Rückblick: Die gematik hat vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Auftrag für den Aufbau eines Fachdienstes für E-Rezepte in der Telematikinfrastruktur (TI) erhalten. Die Ärzte und Apotheker wurden verpflichtet, diesen neuen Fachdienst ab dem 01.01.2024 zu nutzen.  

Was macht dieser E-Rezept-Fachdienst

Wird ab Januar 2024 ein Arzneimittel-Rezept durch einen Arzt oder eine Ärztin ausgestellt, erfolgt in diesem Zuge bundesweit der Transfer eines digitalen E-Rezepts an den E-Rezept-Fachdienst der gematik. Apotheken können die E-Rezepte digital abrufen. Auch der Verkauf wird im E-Rezept-Fachdienst dokumentiert. Der E-Rezept-Fachdienst bündelt somit alle Informationen über das verordnete und abgegebene Medikament (Substitution). Wird ein E-Rezept nicht innerhalb der Rezeptgültigkeit (Kassenrezepte 28 Tage nach Ausstellung) eingelöst, wird dieses nach weiteren 10 Tagen automatisch gelöscht. Nach Einlösung werden die Daten des E-Rezept nach 100 Tagen automatisch aus dem Fachdienst gelöscht. 

Perspektivisch werden ab 2025 mit Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) die Daten des E-Rezept-Fachdienstes für alle in die elektronische Medikationsliste (eML) der ePA des Patienten geschrieben. 

Was hat das mit der Sozialwirtschaft zu tun?

Das Medikamenten- und Verordnungsmanagement ist einer der zentralen Prozesse am Klienten in der Altenhilfe.  Eine klare Benachteiligung entsteht in den Hilfearten wie die Eingliederungshilfe, die das BMG aktuell nicht für die Anbindung an die TI vorsieht.  Für die „Altenhilfe“ ist es darum von besonderer Wichtigkeit, die neuen Prozesse früh zu antizipieren, um die digitalen Mehrwerte auch für andere Hilfearten der Sozialwirtschaft mit vorzubereiten. 

Wo ist der Haken?

Am Verordnungsmanagement sind die Leistungserbringer Ärzte, Pflege und Apotheke zur Zusammenarbeit gezwungen. Der Rezepttransfer verläuft bisher klassisch über Boten.

Hürde Direktzuweisungsverbot: Ausgenommen bei Zytostatika, darf ein Arzt ein Arzneimittel-Rezepten nicht direkt an eine Apotheke übergeben (Makelverbot). Der Altenpflege kommt daher eine zentrale Aufgabe im Verordnungsmanagement zu. Dies gilt bisher auch bei einem Vertrag nach §12a ApoG, in dem die Apotheke die “Heimversorgung” übernimmt. 

Zugriff auf den E-Rezept-Fachdienst: Von den benannten Leistungserbringern dürfen nur Ärztinnen, Ärzte und Apotheken auf den neuen Fachdienst zugreifen. Der Zugriffsschlüssel ist dabei ein E-Rezept-Token. Dieser ist der Pflege jedoch nicht bekannt (siehe auch Hintergrundinformationen). Der Pflege bleibt für einen Informationsaustausch nur die TI mit der Kommunikation im Medizinwesen (KIM). Über KIM kann ein Arzt der Pflege den E-Rezept-Token als Mail zustellen.

Hürde Anbindung an die TI: Bisher sind ca. 600 Altenpflegeeinrichtungen an die TI angebunden, davon nutzen weniger als 400 KIM. Mit der nun verhandelten TI-Pauschale für die Pflege wird zeitnah mit einem schnellen Anstieg an TI-Installationen mit KIM in der Pflege gerechnet. Das wäre auch eine Lösung für den ambulanten Pflegedienst mit einer Tour-Apotheke.

Der Gesetzgeber hat es nicht vorgesehen, dass die Altenpflege als Leistungserbringer über die eGK der Klienten auf den E-Rezept-Fachdienst zugreifen kann, um auf den E-Rezept-Token im stationären Kontext an die heimversorgende Apotheke weiterleiten zu können. Der ambulante Kontext wurde gar nicht berücksichtigt, obwohl die ambulanten Pflegedienste überwiegend mit einer Tour-Apotheke arbeiten. 

Wie sieht die Zukunft aus? 

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) prüft aktuell, ob eines der ältesten Regelungen (Edikt von Salerno) aufgehoben werden soll, um hier den direkten Austausch zwischen Behandelnden und Apotheken zu ermöglichen - was aber weiterhin keine Lösung für die ambulante Altenhilfe wäre.

Die gematik hat ein Fachkonzept ausgearbeitet, das den Herstellern von Software der drei Leistungserbringern ermöglichen würde, automatisiert KIM-Nachrichten zu E-Rezepten auszutauschen. Hier fehlt jedoch eine Vorgabe zur verpflichtenden Umsetzung durch das BMG.

Mit Einführung der elektronischen Patientenakte bis Juli 2025, wird der E-Rezept-Fachdienst ein E-Rezept an die elektronische Medikationsliste (eML) des Patienten übertragen. Spätestens dann wird ein Pflegedienst die Informationen auch zentral abrufen können.

Ein weiterer Ansatz wird mit der Forderung, dass die Pflege direkt auf den E-Rezept Fachdienst zugreifen darf, mittlerweile auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) unterstütz.  

Fazit

Papierrezepte für Medikamente dürfen nicht per Direktzuweisung von einer Ärztin/einem Arzt an eine Apotheke übermittelt werden (Makelverbot). Das ist auch dann nicht erlaubt, wenn die Patientin/der Patient zustimmt. Das gilt ebenso für das seit dem 01.01.2024 für alle Ärztinnen und Ärzte in Deutschland verpflichtend gültige E-Rezept. Voraussetzung für die Pflege, E-Rezepte digital zu empfangen, ist die Kommunikation im Medizinwesen (KIM). Bisher sind nur 1% der Pflegeeinrichtungen an die TI mit KIM angeschlossen. Die Pflege ist aufgrund des Makelverbots der Mittelsmann zwischen den Leistungserbringern in der Versorgung von und mit Medikamenten. Ärztinnen und Ärzte dürfen via TI und KIM E-Rezepte über die Pflege an die Apotheken übermitteln. Unter Berücksichtigung des freien Apothekenwahlrechts der Klienten können E-Rezept-Token gesammelt an die heimversorgende oder auch eine Tour-Apotheke weitergeleitet werden. Eine Automatisierung dieses Standardprozesses ist in Sicht, wurde durch die gematik schon konzeptioniert und erfordert „nur noch“ eine Regelung zur verbindlichen Nutzung in den beteiligten Sektoren durch den Gesetzgeber. 

Für Rezepte die vor Ort, im Haushalt der Patientinnen und Patienten oder Klientinnen und Klienten in der Langzeitpflege, bei einem Hausbesuch oder der Visite von der Ärztin/dem Arzt ausgestellt werden, ändert sich mit dem 01.01.2024 noch nichts.

Mehr zur Telematikinfrastrukur in der Pflege

Hintergrundinformation: 
Wie funktioniert die Einlösung des E-Rezepts?

Klassisch: Der Patient erhält in der Praxis einen Ausdruck, dieser enthält für Apothekerinnen und Apotheker Informationen (E-Rezept-Token – grafischer 2D-Code), um im E-Rezept-Fachdienst den digitalen Datensatz abzurufen. 

Elektronischen Gesundheitskarte (eGK): Das Arzneimittel-Rezept wird bei der Apotheke vor Ort digital vom E-Rezept-Fachdienst abgerufen. Dazu wird die eGK in der Apotheke eingelesen. Mitarbeitende der Apotheke sehen nun alle E-Rezepte im Fachdienst zum Versicherten der eGK innerhalb der o.g. Rezeptgültigkeit.  Damit ist die Apotheke berechtigt, die Medikamente auszugeben, soweit dies vom Patienten gewünscht wird. 

Abruf via App: Die gematik E-Rezept-App bietet ein Frontend des Versicherten (FdV) für TI-Anwendungen an. Damit werden gültige E-Rezepte im Fachdienst angezeigt. Immer mehr Krankenkassen ergänzen in ihrer eigenen App die Anzeige von E-Rezepten aus dem E-Rezept-Fachdienst. Über diese Apps kann die Verfügbarkeit des Medikaments bei Apotheken angefragt werden. Nach dem First-come-first-serve Prinzip soll der Patient entscheiden, welche Apotheke den Versorgungsauftrag zur Ausgabe des Medikaments erhält. 

Alle drei Szenarien berücksichtigen das freie Apothekenwahlrecht des Patienten und haben zum Ziel, dass die ausgewählte Apotheke über den E-Rezept-Token Zugriff auf das E-Rezept bekommt. 

Vorteil der App ist, dass vor Betreten der Apotheke bekannt ist, ob bzw. wann das Medikament verfügbar sein wird. Dazu haben Apothekenhersteller teilweise Ihr Warenwirtschaftssystem direkt in die Kommunikation mit eingebunden und so bestehende Prozesse digitalisiert. 

Hausbesuch oder Visite: Unberührt bleibt der heutige Prozess, wenn eine Ärztin/ein Arzt vor Ort ein Rezept ausstellt. Ohne Zugriff auf die TI über die Praxissoftware wird weiterhin das noch gültige Muster 16 (Rosa Formular) ausgestellt, um Medikamente zu verschreiben. Erst mit mobilen Einsatzmöglichkeiten soll dieser Prozess in der Zukunft angepasst werden.

Bisherige Hürden in der Einführung des E-Rezepts

So gut es sich liest, die Herausforderungen stecken im Detail. Wer ein Rezept für ein Arzneimittel erhält, wünscht es zeitnah, meist direkt, in der Apotheke einlösen zu können. Da einige Ärztinnen und Ärzte Ihre Rezepte jedoch erst abends digital im Stapel signierten, war das E-Rezept zu Beginn des Roll-outs noch nicht für die Apotheken am Fachdienst abholbereit. Dies führte bei den Patientinnen und Patienten sowie den Apotheken zunächst zu Zweifeln an dem E-Rezept. Mit der Komfortsignatur wurde Abhilfe geschaffen, da diese eine unmittelbare digitale Unterschrift durch die Ärztin, den Arzt ermöglicht, ohne dass diese jedes Mal persönlich in Aktion treten muss. 

Die Registrierung an der E-Rezept-App ist ebenso diffizil, eine notwendige Verifizierung muss analog über ein Schreiben der Krankenkasse oder digital über die schon registrierte Krankenkassen-App erfolgen – ein Umweg, der den Vorgang deutlich komplizierter macht.