Das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, abgekürzt Bundesteilhabegesetz (BTHG), ist eine der großen sozialpolitischen Reformen – fast ein Jahrzehnt lang wurde daran gearbeitet. Das Gesetz schafft mehr Möglichkeiten und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen. Die Umsetzung ist in vier zeitversetzte Reformstufen gegliedert. Ab 1. Januar 2023 tritt die letzte Stufe in Kraft.
Mit dem BTHG werden die Vorgaben des Koalitionsvertrages für die 18. Legislaturperiode umgesetzt. Diese sehen unter anderem vor, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen im Sinne von mehr Teilhabe und mehr Selbstbestimmung zu verbessern. Zudem soll die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht ausgebaut und das Schwerbehindertenrecht weiterentwickelt werden. Nicht zuletzt soll die Reform der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) Rechnung tragen.
Der Mensch steht im Mittelpunkt
Die Vorteile sind vielschichtig und personenzentriert: Menschen mit Behinderungen, die auf Unterstützung wie zum Beispiel persönliche Assistenz oder Psychotherapie aus der Eingliederungshilfe angewiesen sind, müssen die für sie notwendigen Reha-Leistungen nun nicht mehr bei verschiedenen Leistungsträgern separat beantragen. Die frühzeitige Unterstützung bei der Rehabilitation wird verbessert, und eine unabhängige Beratung hilft bei konkreten Fragen. Der Leistungskatalog der Eingliederungshilfe wird konkretisiert, Elternassistenz und Assistenz in der Weiterbildung und im Studium werden erstmalig ausdrücklich geregelt und neue Jobchancen in Betrieben für Werkstattbeschäftigte durch ein Budget für Arbeit geschaffen. Im Arbeitsumfeld werden die Vertretungsrechte für Schwerbehindertenvertretungen und Werkstatträte gestärkt.
Ein großer Schritt ist zudem, dass die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgelöst wird, wodurch mehr individuelle Selbstbestimmung entsteht. Ein modernes Recht auf Teilhabe und die dafür notwendigen Unterstützungen machen dies möglich.
Reformprozess läuft seit 2017
Die erste Reformstufe trat nach Verkündigung des BTHG im Jahr 2017 in Kraft. Zunächst wurden vorgezogene Änderungen im Schwerbehindertenrecht sowie der erste Schritt bei Verbesserungen der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung im SGB XII durchgeführt. Danach fand die Erhöhung des Schonvermögens für Bezieher von SGB-XII-Leistungen von 2.600 Euro auf 5.000 Euro statt.
Reformstufe 2 trat 2018 in Kraft. Sie beinhaltete die Einführung SGB IX Teil 1 und Teil 3, die Reform des Vertragsrechts der EGHneu im SGB IX und die vorgezogenen Verbesserungen im Bereich Teilhabe am Arbeitsleben und im Gesamtplanverfahren in der EGH im SGB XII.
Reformstufe 3 gilt seit 2020. Sie umfasst die Einführung SGB IX Teil 2 (EHGneu) und den zweiten Schritt bei der Verbesserung in der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung.
Reformstufe 4 tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Sie beinhaltet den leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe (Artikel 25a BTHG, § 99 SGB IX).
Bundesländer sind am Zug
Zahlreiche Bestimmungen des BTHG werden durch Landesgesetze und Landesrahmenverträge präzisiert. Die Landesrahmenverträge bilden die Grundlage dafür, auf welche Weise die Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht und vergütet werden. Dies setzt umfangreiche Verhandlungen voraus, die in einigen Bundesländern noch nicht abgeschlossen sind. Zudem nehmen die Vertragskommissionen ihre Möglichkeiten mehr oder weniger umfassend wahr und setzen die inhaltlichen Schwerpunkte unterschiedlich – dadurch unterscheiden sich die Landesrahmenverträge von Bundesland zu Bundesland teilweise erheblich. Außerdem beinhalten viele Verträge noch befristete Übergangsvereinbarungen, und auch angekündigte Checklisten oder Handlungsleitfäden werden erst noch erarbeitet. Der Stand der Dinge vor der letzten Reformstufe stellt sich also sehr heterogen dar.
Herausforderung für die Betreuung
Nicht nur die fachlichen, auch die wirtschaftlichen Folgen des BTHG sind vielfältig: Rund um die Betreuung von Menschen mit Behinderungen müssen die Geschäftsmodelle der Anbieter bis hin zu den spezifischen Versorgungsinstrumenten angepasst werden. Um deren effiziente Gestaltung sicherzustellen, ist eine frühzeitige Reaktion der betroffenen Unternehmen unabdingbar – von der nachhaltigen Strategie bis zur operativen Ausgestaltung. Das setzt neue Konzepte voraus, die sich insbesondere auf die Vertragsgrundlagen, die Personalentwicklung, die Steuerung der Leistungserbringung bis hin zum Gebäudemanagement der Einrichtungen auswirken.