Nina T. Enstermann, Psychologische Psychotherapeutin, schreibt regelmäßig Beiträge rund um den Themenbereich der Psychotherapie.
Themen, die uns verunsichern, hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. In der aktuellen COVID-19-Pandemie erleben wir jedoch ein bisher unbekanntes Maß an Ungewissheit, Überforderung und Hilflosigkeit. Die seit März 2020 geltenden Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote, Veränderungen am Arbeitsplatz sowie geschlossene Kitas und Schulen prägen den Alltag vieler Menschen auf eine ganz neue Weise.
Die Ungewissheit über die Auswirkungen, die Ausbreitung und das Ausmaß der Krankheit bedeutet eine hohe emotionale Belastung – nicht nur für psychisch ohnehin schon belastete Menschen. Hinzu kommen Existenzängste, den Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten zu können oder gekündigt zu werden. Zudem fehlen Alltagsroutinen, sozialer und körperlicher Kontakt zu anderen. Durch die zahlreichen Beschränkungen fehlt es an Beschäftigungsmöglichkeiten – Langeweile ist die Folge.
Dass Langeweile auf Dauer zu einer emotionalen Belastung wird, ist bereits bekannt. Bore-out nennen das die Wissenschaftler: ein Zustand der anhaltenden Unterforderung. Das tückische am Bore-out ist der Teufelskreis aus Langeweile und schlechter Leistung. Denn wer sich über einen längeren Zeitraum gelangweilt und unterfordert fühlt, verliert immer mehr das Interesse an der Arbeit und erbringt immer weniger Leistung. So die beiden Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter Werder, die 2007 ein Buch zum Thema Bore-out geschrieben haben. Hinzu kommt, dass gerade im Homeoffice zunächst nicht zwingend auffällt, dass die Arbeitsleistung schlechter geworden ist. Leistungsabfälle laufen unterhalb des Radars und fallen viel später auf als im gemeinsamen Büroalltag. Gleichzeitig ist es gar nicht mehr möglich, emotional Abstand von der Arbeit zu gewinnen. To-do-Listen und unerledigte Aufgaben sind im Homeoffice stets präsent, auch wenn die Arbeitszeit vorbei ist. Manch Pflichtbewusster fühlt sich deshalb auch abends oder am Wochenende dazu angehalten, seine Zeit in berufliche Aufgaben zu investieren. Man kann ja auch sonst wenig machen …
Denn im eingeschränkten Pandemie-Alltag erleben wir auch im privaten Kontext viel Langeweile. Kein Mannschaftssport, kein Chor, keine Krabbelgruppe, keine VHS-Kurse. Kurz gesagt: kein neuer sozialer und intellektueller Input. Das Leben steht auf der Stelle. Peter Lewinsohn beschrieb bereits 1974 ganz unabhängig von der Pandemie die Verstärker-Verlust-Hypothese, die besagt, dass eine zu geringe Rate an positiven Verstärkungen und Erlebnissen depressives Verhalten begünstige. Und genau das lässt sich aktuell in der Bevölkerung beobachten. Es fehlt in diesen Zeiten an „schönen Momenten“, an Ereignissen, über die wir uns noch Wochen später freuen, von denen wir zehren könnten.
Da wird der Einkauf zum Highlight der Freizeitbeschäftigungen. Früher mal eben schnell zwischen Feierabend und Abendverabredung erledigt, entpuppt sich der Supermarkt neuerdings als Flaniermeile. Hauptsache mal raus aus den eigenen vier Wänden. Die Grundversorgung mit Lebensmitteln ist gerade im Lockdown einer der wenigen legitimen Gründe, das Haus zu verlassen. Eine seltene Gelegenheit, etwas zu erleben – und sei es nur so etwas Profanes wie eine Schnäppchenjagd. Das macht wenigstens ein bisschen glücklich. Und wenn es keine Schnäppchen zu ergattern gab, dann beglücken wir uns mit Schokolade. Die war selbst im ersten Lockdown nicht ausverkauft und enthält zumindest eine gewisse Menge an Tryptophanen, bei deren Abbau im Körper Serotonin entsteht.
Einkaufen ist das letzte Stückchen Alltag, das uns geblieben ist. Etwas, woran wir festhalten in diesen Monaten, in denen sich die Bedingungen und damit auch die Verhaltensvorschriften ständig ändern.
Wir streben in unserer Arbeit eine professionelle, sorgfältige und individuell gestaltete Behandlung an, wobei die vertrauensvolle Beziehung tragendes Element ist.
Nina T. Engstermann