Praxisgründung für Psychotherapie
Selbstständigkeit oder Anstellung lassen sich gut mit der Arbeit auf einem Schiff vergleichen. Bei einer Anstellung gehören Sie zu einer arbeitsamen, pflichtbewussten und mitwirkenden Mannschaft, die ihre Befehle von einem/einer Kapitän:in erhält. Probleme werden „von oben“ gelöst und Abweichungen sind nicht geplant. Sie müssen nur Ihre Aufgaben erledigen und sich sonst um nichts kümmern.
Ganz anders bei einer Selbstständigkeit. Denn da sind Sie der/die Kapitän:in, halten das Steuerrad fest in der Hand und tragen die Verantwortung für eine sichere Fahrt. Das erfordert Ausdauer und Kraft sowie Mut für Kursänderungen. Vielleicht entscheiden Sie sich für ein kleines Schiff, das Sie ganz allein steuern? Wählen eine andere Route, die Ihnen besser gefällt? Nehmen weniger Passagier:innen an Bord und erweitern Ihr sonstiges Angebot auf Deck? Ändern die Abfahrts- und Ankunftszeiten oder entscheiden sich für einen zusätzlichen Motor, der Sie schneller ans Ziel bringt?
Vor- und Nachteile der Selbstständigkeit
Doch bevor es in Richtung Kommandobrücke geht, hilft es, sich auf die kommenden Herausforderungen vorzubereiten. Hinterfragen Sie Ihren Plan und wägen Sie die Vor- und Nachteile ab. Bei einem Gründungsvorhaben ist es wichtig, sich gut aufzustellen und ausführlich vorzubereiten. Eine Checkliste finden Sie im nächsten Beitrag zum gleichen Thema.
Praxistipp
Tragen Sie Ihr Vorhaben – vielleicht im Rahmen einer Präsentation – zunächst probehalber im Kolleg:innen- oder Freundeskreis vor und nehmen Sie alle Fragen auf. Geraten Sie dabei „ins Schleudern“ oder in eine „Verunsicherungsfalle“?
Dann sollten Sie nochmal an Ihrem Konzept feilen.
Grundsätzlich ist nicht jede Situation vorhersehbar und planbar. Gerade in der heutigen Zeit erleben wir Situationen, mit denen wir nie gerechnet hätten. Die Corona-Pandemie und die aktuelle Unwetterkatastrophe machen jeder sorgfältigen Planung einen Strich durch die Rechnung. Gleichzeitig steigt die Nachfrage an Psychotherapien aufgrund der hohen seelischen Belastungen extrem an. Kurzfristig müssen Sie – auch Ihre eigenen – Ausfälle einplanen, überbrücken und sich dann auch auf andere Wege, z. B. den Umstieg auf Videositzungen, einlassen und diese zeitnah umsetzen können.
Vorteile der Selbstständigkeit:
- Flexibilität, Unabhängigkeit, Abwechslung
- Sein eigener/seine eigene Chef:in zu sein
- Freie Arbeitszeiteinteilung
- Höhere Verdienstmöglichkeiten
- Flexible Arbeitsgestaltung
- Abwechslung in der eigenen Auswahl der Therapie und Diagnostik
- Mehr Entscheidungsfreiheit
- Selbstgestaltung und -optimierung von Aufgaben, Tagesabläufen und Routinen
- Freie Personalauswahl: Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen sucht man sich selbst aus
Herausforderungen in der Selbstständigkeit:
- Die Versorgung und auch die Verantwortung für Ihre Patient:innen liegen allein bei Ihnen: Sie sind Ihr Ansprechpartner:in und Ihre Vertrauensperson.
- Sie müssen den Überblick behalten: Von der Kontaktaufnahme und Terminverwaltung über die Dokumentation von Therapien bis hin zur Abrechnung bei gesetzlich und privat versicherten Patient:innen.
- Passen Sie die Strukturen und Arbeitsabläufe an die Praxis und Ihre Patient:innen an.
- Sorgen Sie für Orientierung, eine angenehme Arbeitsatmosphäre und ein gutes Zeitmanagement. Das kommt Ihnen und Ihren Patient:innen zugute.
- Mit einem guten Geschäftsplan behalten Sie die Investitionskosten sowie alle weiteren Kosten im Blick.
- Bis Sie das Ziel der Kostendeckung erreicht haben, benötigen Sie etwas Ausdauer und Gelassenheit. Achten Sie unbedingt auch auf die eigene Psychohygiene (Stichwort: „Life-Work-Balance“).
Praxistipp
Schaffen Sie sich Ihr eigenes Netzwerk und nutzen Sie bereits vorhandenes Wissen: Befragen Sie bereits niedergelassene Kolleg:innen, suchen Sie eine Intervisionsgruppe, nutzen Sie die Informationsportale bei der Kassenärztlichen Vereinigung, bei den Berufsverbänden etc.
Beratung bei Praxisgründung macht Sinn
Mit einer guten Vorbereitung und einem Praxiskonzept sind Sie in sicheren Gewässern. Eine Prise Mut – auch zum Fehler-machen – eine gute Organisation, ein solider Finanzplan und ein Polster „für schlechte Zeiten“ sorgen für die nötige Gelassenheit. Darüber hinaus sind Fachkompetenz, innere Sicherheit, Vertrauen in sich selbst und ihre Arbeitskraft, Kreativität, Improvisationstalent sowie Entscheidungs- und Umsetzungsfreudigkeit die halbe Miete in der eigenen Praxis.
Praxistipp
Erstellen Sie sich eine Liste mit allen zukünftigen fachfremden Tätigkeiten. Prüfen Sie dann, welche davon Sie selbst übernehmen möchten und welche Sie gegebenenfalls jetzt oder auch später abgeben können und wollen. Planen Sie sich feste Orga-Zeiten in Ihrem Terminkalender ein, in denen Sie sich nur um fachfremde Tätigkeiten kümmern.
Ich bin selbstständig!
Fazit: „selbst“ und „ständig“. Bei einer Selbstständigkeit haben Sie das Steuer in der Hand und können jederzeit eine andere Route einschlagen. Und hoffentlich strahlen Sie immer, wenn Sie sagen: Ich bin selbstständig.